Idol Gorbatschow in Warschau

Gleich zu Beginn eines Polen-Besuchs läßt sich der KPdSU-Chef von der Bevölkerung auf der Straße feiern Vier-Augen-Gespräche mit General Jaruzelski / Vor dem Besuch mindestens acht Oppositionelle verhaftet  ■  Von Florian Bohnsack

Berlin (taz) - Kaum war Michail Gorbatschow gestern in Warschau gelandet, nahm er ein Bad in der Menge. Bei 21 Grad im Schatten. An einem Verkehrskreisel stoppte seine Wagenkolonne plötzlich und hielt den Verkehr an. So begann der viertägige Staatsbesuch des sowjetischen Parteichefs in Polen. Trotz Polizeiabsperrung verschwand Gorbatschow händeschüttelnd in der Menge und signierte auch gleich noch mehrere seiner „Perestroika„-Bücher.

Erst danach fuhr Gorbatschow mit seiner Frau in der gepanzerten Limousine bei offenem Fenster zum Grab des Unbekannten Soldaten weiter, wo er die Opfer des Zweiten Weltkriegs ehrte. Derweil herrschte bei der polnischen Polizei Hochbetrieb. Schon am Sonntag abend wurden mindestens acht Oppositionelle festgenommen. Sieben von ihnen gehören zur verbotenen Sozialistischen Partei Polens, der achte, Krzystof Krol, ist einer der Führer der Konföderation für ein unabhängiges Polen. Er wurde wegen seines schlechten Gesundheitszustandes jedoch wieder Fortsetzung auf Seite 2

freigelassen. Unklar ist, ob die Arbeiter des Werkes Stalowa Wola ihre Ankündigung wahr gemacht und pünktlich zum hohen Besuch für die Wiedereinstellung von sieben Kollegen in den Streik getreten sind.

Mit Spannung wurde die Rede des sowjetischen Parteichefs in der Sejm, dem polnischen Parlament erwartet. Nach zahlreichen Hinweisen soll dabei auch das Schicksal der 15.000 polnischen Offiziere angesprochen werden, die von sowjetischen Truppen 1939 ermordet wurden.

Stationen auf der Reise des sowjetischen Parteichefs durch Polen werden Krakau und Stettin sein. Auf der Warski-Werft, wo 1980 das erste Abkommen zwischen der polnischen Regierung und Vertretern der streikenden Arbeiter unterzeichnet worden war, will er mit Jugendlichen diskutieren.

Am Wochenende trafen sich auf einem Bergpfad im tschechisch -polnischen Grenzgebiet Oppositionelle beider Staaten. Auf polnischer Seite nahmen unter anderem Zbigniew Bujak für die Solidarnosc, Piotr Niemczyk für die Gruppe „Freiheit und Frieden“ sowie Adam Michnik und Jacek Kuron teil. Aus der CSSR beteiligten sich neben dem Schriftsteller Vaclav Havel auch andere Mitglieder der Charta 77. Sie forderten die Aufklärung aller „weißen Flecken“ in der Zeitgeschichte Osteuropas, sowie eine klare Stellungnahme zum Massaker von Katyn. Gleichzeitig sollen die Mitglieder des Warschauer Pakts, deren Vertreter sich im Anschluß an Gorbatschows Visite in Warschau treffen, in einem Abkommen den Einsatz von Truppen gegen ein anderes Land des Warschauer Paktes ausschließen.

Washington (dpa) - Der Chef des sowjetischen Generalstabs, Marschall Achromojew, hat am Montag vor der Presse in Washington jeden Kommentar zu Berichten über einen angeblich bevorstehenden sowjetischen Truppenabzug aus Ungarn abgelehnt. Zum Abschluß seines USA-Besuchs versicherte der Marschall erneut, daß Moskau anstrebe, seine militärische Doktrin defensiv auszurichten. Die laufende Umgestaltung der Sowjetunion schließe auch das Militär ein. Man sei dabei, einige Änderungen vorzunehmen, um den Streitkräften „einen rein defensiven Charakter“ zu geben.