Die Inszenierung des Todes

■ Das „ChineloTheater“ bietet im Herbst eine 3monatige Schauspielausbildung an: Am Ende soll ein gemeinsames Stück entwickelt werden: „Das bunte Totenfest“

„Die Einsamkeit in Europa hat etwas zu tun mit der Angst vor dem Tod. Die Angst entsteht, weil es in dieser Gesellschaft keine Verbindung gibt zwischen dem Leben und dem Tod“. Aus dieser Beobachtung hat der mexikanische Schauspieler Abiud „Chinelo“ Aparicio zusammen mit den beiden Künstlern Jorge Pelaez und Hector Tobon ein dramaturgisches Experiment entwickelt: ab Oktober starten die drei ein Theaterprojekt, für das sie selbst SchauspielerInnen ausbilden. Am Ende dieser Ausbildung soll ein gemeinsames Stück entwickelt werden: „Das bunte Totenfest in Mexico“.

„Menschen können über ihre Einstellung zu Leben und Tod eine Beziehung herstellen, sie können sich über verschiedene Ansichten und Verhaltensweisen kennenlernen und mit diesen Ge

fühlen spielen“, umreißt Aparicio die Idee des Stückes. Anbieten werden die drei neben ihrem professionellen Können und der zum Teil jahrelangen Theatererfahrung vor allem ihren eigenen kulturellen Hintergrund, der in Sachen Tod europäischen Anstoß genug erregt.

Kultur als Tradition

Während des alljährlichen Totenfestes samameln sich in Mexico die Menschen in den Städten und Dörfern, um ihre Toten zu bewirten und mit ihnen zu feiern. Seit der präkolumbianischen Zeit, in der die Wurzeln dieser Tradition liegen, hat sich das Fest an vielen Orten unterschiedlich weiterentwickelt. Kolonisation und industrielle Entwicklung taten ihr Übriges. „In meinem Dorf, wo hauptsächlich indianische Leute leben, wird das Fest noch sehr tra

ditionell gefeiert. Man stellt gelbe Speisen für die Toten bereit, da man glaubt, sie sähen nur gelb. Und die Leute bringen viele Opfergaben für den alten aztekischen Gott Quetzalcoatl. Es ist jedes Mal eine mystische Situation, in der die Menschen sehr starke Gefühle empfinden“, erzählt Abiud Aparicio.

Ganz anders hat sich das Fest etwa in den Armenvierteln der Großstädte verändert. Dort versammeln sich die Menschen auf ihrem Friedhof, sie erzählen sich und den Toten von ihrem Elend, trinken dabei meist sehr viel Alkohol. Vor allem die von Erdbeben obdachlos gewordenen Familien, aber auch die politische Opposition nutzen diesen Tag immer wieder zu öffentlichem Protest.

So unterschiedlich das Fest auch gefeiert wird, gemeinsam ist allen die mystische Tradition: Die Menschen nehmen „lebendigen Kontakt“ zu ihren Toten auf, der Tod wird zu einem Teil des Lebens, wenn er zum Beispiel als Totenkopf aus Zuckerguß Kindern als Spielzeug und Nascherei dient.

Kultur als Auseinandersetzung

Die fremde Tradition bringen die Initiatoren des ChineloTheater

als Idee mit in das Projekt. Auseinandersetzung wollen sie damit, keine Nachahmung: „Wir wollen kein folkloristisches Spektakel. Wir wollen sehen, wie Europäer reagieren und welche Gefühle sie haben“, betont der Schauspieler. Ähnlich wie Antonin Artaud in Paris ein Stück zur Kolonisation Lateinamerikas inszenierte, sollen alte Konflikte auf zwei Ebenen dramatisiert werden: an der Interpretation eines Todesrituals etwa, läßt sich, so stellt es sich Aparicio vor, der Zusammenprall zwischen präkolumbianischer Welt und Europa vollziehen. Dies alles verliert seine Abstraktheit dann, wenn diese verschiedenen kulturellen Traditionen und auch das darin liegende Herrschaftsverhältnis aus den SchauspielerInnen selbst entwickelt werden: Und schließlich wird der Maler Hector Tobon zusammen mit den SchauspielerInnen die Gestaltung des Ganzen besorgen. Braucht es nur noch wild Entschlossene, denen ein Leben ohne Theaer zu einsam ist!

V.K.

Kursbeginn am 3.Oktober, ganztägig. Dauer: 3 Monate. Kosten: 2100 Mark. Information und Anmeldung: Chinelotheater, Vor dem Steintor 145/147, 2800 Bremen 1, Tel. 0421/70 13 57