Tödlicher Kampf um einen Stuhl

■ Palästinensischer Asylbewerber starb nach Messerstecherei / Seine Mutter schickte ihn aus einem libanesischen Flüchtlingslager nach Deutschland, damit er den Bürgerkrieg überlebt

Geboren wurde er im Flüchtlingslager Al-Helue bei der libanesischen Hafenstadt Sidon, im Nah-Ost-Krieg wuchs er auf. Damit der 21jährige Palästinenser Walid Dahschan im Kampf der Milizen nicht umkommt, schickte ihn seine Mutter vor zwei Jahren nach Deutschland. Am Montagabend starb er auf dem Boden einer türkischen Kaffeestube in Bremen, erstochen Leuten, die ebenfalls vor dem libanesischen Bürgerkrieg gefohen sind.

Bei dem Streit ging es nur um einen Stuhl. Das jedenfalls ist der jetzige Erkenntnisstand der Kripo, und mehr wissen auch Augenzeugen und Freunde des Getöteten nicht zu berichten. Dahschan saß mit zwei anderen Palä

stinensern am Tisch. Ein Stuhl war noch frei, doch als libanesische Kurden den Stuhl haben wollten, flogen erst böse Worte, und dann die Fäuste. Denn Dahschan und seine Freunde erwartete noch einen vierten Mann zum Kartenspielen.

Als er einem 24jährigen Kurden an beiden Händen festhielt, stach dessen Vater ihn mehrmals mit einem Messer in den Rücken. Dahschan ließ seinen Gegner los, der versetzte ihm sofort einen einzigen Messerstich, der laut Obduktionsbefund des Herz des jungen Palästinensers verletzte. Das war um 18.35 Uhr. 20 Minuten später war Dahschan tot.

Gegen den 47jährige Vater der libanesisch-kurdischen Familie

und seinen Sohn will Staatsanwalt Frank Repmann Haftbefehle erwirken. „Erstmal nur wegen Totschlags, daraus kann aber auch noch Mord werden“, sagte er gestern. Der Vater ist bei dem Kampf selbst mit einem Messer verletzt worden, von wem, war gestern noch nicht sicher. Nach der Tat floh er per Taxi. In einem Krankenhaus stellte ihn die Polizei. Dort befindet er sich auch jetzt noch - unter Bewachung.

Der Verletzte lebte mit seinen sieben Kindern in Verden. Die Familie gehört zur kurdischen Minderheit des Libanon. Sie kam 1986 in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Das Verhältnis von Kurden und Palästinensern im Libanon ist traditionell gut.

Viele Kurden haben mit Palästinensern zusammen in der PLO gekämpft.

Gestern vormittag war es still im „Türkischen Volksverein“ am Dobben. Unter den wenigen Gästen ist ein Verwandter Dahschans, der seinen Namen nicht nennen will. Walid habe zwar Asyl beantragt, wäre aber viel lieber in den Libanon zurückgekehrt. Das habe er in den Briefen an seine Mutter immer wieder geschrieben. Das Herumhängen hier und das Arbeitsverbot, dem Asylbewerber unterliegen, wären ihm auf die Nerven gegangen. Der Streit habe sich wirklich nur um den Stuhl gedreht, meint der Verwandte. „Unsere jungen Leute kennen nur den Krieg. Im

Libanon will ja auch jede Partei die stärkste sein. Die Leute bringen diese Aggressivität mit hierher. Wenn man nicht um die Macht kämpfen kann, dann eben um einen Stuhl.“

Ein Beamter der Spurensicherung der Kripo kommt und läßt sich ein Springmesser zeigen, das nach dem Kampf auf dem Fußboden gefunden wurde. In einer leeren Cola-Kiste war es die Nacht über aufbewahrt worden. In der Ecke lehnt noch die Rolle mit der Plastikfolie, in die die Leiche Dahschans am Vorabend eingeschlagen worden war. Der Kripomann nimmt beides mit. „Viel Spaß noch“, sagt er beim Hinausgehen.

Michael Weisfeld