Vorwand für Spesenritter

■ Aus der Reihe: Einzureißende Neubauten, Teil IV: Das ICC

Was ist es, eine Aluminiumhütte? Nein, ein Schlachtschiff! Ach was, ein Raumschiff! Was immer es auch sei, ein Monstrum ist es auf jeden Fall, das ICC. Blech und Plastik, der Koloß sieht aus wie klein Fritzchen, beziehungsweise Georg Lucas sich was beeindruckend Imposantes vorstellen. Nur, das Lucas mit seinen Träumen Millionen eingefahren hat, wogegen Berlin mal wieder einzig im Rauswerfen brillieren konnte. Sind die Rechnungen eigentlich bezahlt? Wenn ja, was soll es, kommen da doch täglich neue, laufende, sicherlich galoppierende Kosten dazu. Außen hat es das Ding aus einer anderen Welt ja geschafft, noch immer als futuristisch durchzugehen, aber nur, weil seit den Panzerkreuzern ähnliche intergalaktische Kampfsterne primär für die SF-Leinwandkriegsstrategien sinnvoll erscheinen. Innen dagegen waren die eingedellt -abgerundeten Plastikformteile schon bei der Eröffnung aus der Mode. Ein Comeback ist ausgeschlossen, erst im Zeitalter nach den Plasten und Elasten sollten sich einige Nostalgiker wieder dafür erwärmen können. Und auch dann würde ich nicht dem Geschmack von Leuten trauen, die Lenorflaschen sammeln. Das ICC-Design mit allen seinen Derivaten taugt gerade mal für gestylte Werbefilme für Landmaschinen (Claas Mähdrescher).

Die Stilfrage ist damit geklärt, dringende soziale Fragen harren der Erörterung. Voran mal was Gutes zum ICC: Da zwischen Messedamm und Stadtautobahn ohnehin kein Straßenbild existiert, konnte es auch nicht gestört werden, keinerlei Empfindlichkeiten in diesem Falle. Bedenkt man, daß in der Stadt solcherart Inseln noch weitaus unglücklicher genutzt werden, am Sachsendamm liegt darauf ein Verkehrsübungsplatz für Kinder, ist das ICC als Ersatz für die allzu pflegeintensive Rasenfläche zu begrüßen, das Gartenbauamt wird es den Planern danken. Trotzdem, das ICC muß weg, und zwar aus sozialhygienischen Gründen!

Der Bau übt eine magnetische Anziehungskraft auf jene Aktenköfferchen-tragenden, Krawatten-gezierten Subjekte aus, die in dieser bieder-eleganten Maske das Stadtbild mittlerweile überschwemmen. Zu Tausenden zieht es sie nach Berlin, das des Problems nicht mehr Herr wird. Immer neue Hotels müssen errichtet werden, um diese Elemente zumindest von der Straße zu bekommen. Das Volk der Ein- & Zwei-reiher -tragenden Biedermänner auf Kurzurlaub vom Kleinstadtmief feilscht am Kiosk zwar manchmal um den Preis der Himbeerbonbons, aber sehr bald, wenn die Maske endgültig fällt, dann fließen im nächstbesten Neppschuppen die Scheine. Die Einheimischen haben zu leiden, unter der hier entstehenden künstlich hochgetriebenen Inflationsrate. (echt. schließlich war der nepp auch schon billiger. sezza) Nicht auszudenken, wenn jene Steuerreformgewinnler demnächst mit der Kohlschen Extrakohle hier anrücken. Da die Mehrheit der Dienstleistungen, die hier in Anspruch genommen werden, in steuerlichen Grauzonen angesiedelt sind, sollte der Wirtschaftssenator das Geplapper vom „Dienstleistungszentrum Berlin“ nochmal überdenken. Das günstige am Gunstgewerbe ist nun mal die Besteuerung.

Die City scheint schon korrumpiert. Die Fassaden prunken in falschem Glanz, doch dahinter, da zerbröckeln ethische und moralische Grundfeste. Wie soll der Berliner das auch aushalten, wie soll er sittasm, strebsam und fleißig sein, wenn er sich den ganzen Tag mit Herren auseinandersetzen muß, die diese Stadt als sittenlosen Freiraum betrachten, die völlen und prassen, ohne Maß und Ziel. Ein Tollhaus machen jene aus der Stadt. Wie soll man an sich halten, wenn das Gegenüber hemmungslos über die Stränge schlägt. Dem Spesenritter ein „Halte ein!“ oder ein „Bedenke doch!“ zuzurufen, wer wagt es noch, wer zückt das Schwert der Redlichkeit? Kaum einer! Große Teile der Einheimischen haben sich angepaßt. Es mag die Berliner Inzucht gewesen sein, die die Korruption in politischen und wirtschaftlichen Institutionen befördert hat, die Grundlage dazu, der moralische Verfall, kam von außen. Er wurde hofiert, eingeladen zu „Kongressen“ im ICC.

Jürgen Witte