SPIEGLEIN, SPIEGLEIN

■ Jerome Deschamps „C'est dimanche“ im Hebbel-Theater

Wie so oft, wenn wir nichts mit uns anfangen können oder selbstzweifelnde Gedanken sich in unser kleines Bewußtsein schleichen - können wir ja ins nächste Theater steppen und mal schnell wieder über was anderes frotzeln, weinen, uns fürchten, ärgern oder diskutieren. Gerade noch mal Glück gehabt.

Sonntag abend beispielsweise lenkte uns im Hebbel-Theater Jerome Deschamps, Regisseur und Mitwirkender seines Stückes „C'est dimanche“ gelungen von unseren eigenen subtilen Abnormitäten ab. Wir sollten dabei zusehen, wie der Durchschnittsmensch (weil wir ja ganz anders sind) versucht, seine Sonntage über die Runden zu kriegen, natürlich mit allerlei Pannen - wie im richtigen Leben. Mit zwei weiteren Darstellern und einem alten, schäbigen Kinderwagen dauerte das eine gute Stunde im dreiviertelvollen Theater.

Das nennt man irgendwie modern, wenn sich jemand die Mühe macht, seine Gedanken an so ein Thema zu verschwenden. Noch dazu, wenn die Darbietung mit wenig technischem und bühnenbildnerischem Aufwand, außer ein paar Stühlen, einem Brett und nur einer Holztheke, verbunden ist. Und dann wird auch noch auf Sprache verzichtet - französische Akkordeonmelodien, ein paar typisch menschliche Artikulationslaute, englische Sprachfetzen und Geräusche aus dem Hintergrund sind das einzige, was man hören kann.

Da kauern wir in unseren Sesseln und bewundern das Außergewöhnliche. Dabei spielen sie bloß vor einer riesigen himmelblau angemalten Leinwand und verschwinden ab und an mit einem imaginären Fahrstuhl hinter der Theke (der auch mal versagt und dann scheppert's). Ist das komisch. Ja, über die kleinen, hektisch aneinandergereihten Szenen können wir uns abschütteln, weil der eine so lang und ganz abgemagert ausschaut, der kleine Dicke in abgewetzten Omakleidern rumgurkt, die Fette die Wangen wie ein Walroß aufplustert und ständig jammert und weil alle drei den kollektiv debilen Blick draufhaben. Diese tragischen Pechvögel bringen uns zum Johlen und Jauchzen, weil wir dann nach unserem eigenen versteckten Elend nicht suchen müssen. Wenn wir so tumb wie die da wären, würden wir dann im Dunkeln sitzen und Publikum sein? Es muß gegröhlt werden über solche Plattheiten wie: Rotwein umkippen, mit Schwamm aufsaugen, wieder ins Glas pressen und dann austrinken. Pfui, diese Kunstbanausen, die die Vorstellung vorzeitig verlassen und sich den extrem karikierten Schwachsinn nicht länger antun!

Die feinen Kleinheiten schälen sich dann heraus, wenn Kommunikation in den Gesichtern stattfindet, oder der lange Lulatsch in seiner schlaksigen Unbeholfenheit zur Musik ein Tänzchen wagt. Wir wollen über die dämlichen Schwächlinge lachen, die wir nicht sein wollen. Ganz schön traurig, aber der Herr Deschamps hat es geschafft, daß wir uns danach wieder ganz elitär und wichtig gefühlt haben.

Connie Kolb