Stasi als Familienfürsorge

■ West-Berliner wollte seine Ost-Berliner Schwester bei den DDR-Behörden als Republikflüchtige denunzieren, um sich so ihre ihm lästigen West-Besuche zu ersparen

Ein Jahr Haft zur Bewährung brachte einem 27jährigen Maschinisten der Versuch ein, seine in Ost-Berlin lebende Halbschwester und deren Tochter bei den DDR-Behörden der geplanten Republikflucht zu bezichtigen. Der ehemalige DDR -Bürger hatte zwei Briefe an das Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Spandau geschickt und darin behauptet, daß seine Schwester und Nichte einen Besuch in West-Berlin nutzen wollten, um hierzubleiben.

In der gestrigen Verhandlung vor der 2.Großen Strafkammer in Moabit stellten sich ein Familienkrach und die Lust auf Rache als Motive der Briefschreiberei heraus. Der Beschuldigte versuchte der Kammer weiszumachen, massiven Ärger für die Nichte und die Halbschwester habe er bei seinem Handeln nicht befürchtet.

Er habe angenommen, die DDR würde die Anträge „ohne Begründung ablehnen“ und ihm dadurch den ungeliebten Besuch vom Hals halten. Sowohl seine 44jährige Halbschwester wie auch seine Nichte hätten ihn nämlich bei der drüben lebenden Verwandschaft „schlecht gemacht“. Der Nichte seien seine Geschenke „zu billig“ gewesen, die Halbschwester gar, nannte ihn einen „Geizhals“. Zugetragen wurde ihm die Unzufriedenheit von einer anderen, drüben lebenden Schwester. Die berichtete ihm telefonisch, die 44jährige klage nach jedem Besuch bei ihm im Westen, er habe zu wenig Geld „'rübergerückt“, obwohl er ihr nicht nur „Kost und Logis“ gewährt, sondern ihr auch auf eigenen Deckel das teure Nachtleben des Westens vorgeführt und ihr schließlich einen Hunderter für eine Woche Aufenthalt zugesteckt habe. Den wesentlichen Grund erfuhr das Gericht aber erst, nachdem sein Anwalt den 27jährigen aufgefordert hatte, die näheren Umstände seines Abgangs aus der DDR zu berichten. Ein von seinem Vater geerbtes Haus habe er dabei nämlich seiner Mutter überschrieben, doch seine Halbschwester, die mit der Angelegenheit nichts zu schaffen gehabt habe, hätte sich eingemischt, seiner Mutter die Kontoverwaltung abgenommen und um ein glattes Fünftel des Verkaufserlöses geprellt. Die 69jährige Mutter, gestern eigens als Zeugin aus der DDR angereist, bestätigte den dreisten Griff, der sie 10.000Mark kostete, bescheinigte dem Sohn aber auch die von ihm selbst schon zugegebene Feigheit im direkten Umgang mit der Halbschwester.

Für die Kammer kein Grund, die Denunziation mit persönlicher Tragik und Konfliktunfähigkeit zu entschuldigen. „Besonders niederträchtig“ nannte der Vorsitzende Richter die von dem 27jährigen gewählte Methode, die ungeliebte Verwandtschaft abzuwehren, in Anbetracht der „Nichtigkeit des Anlasses“. Schließlich habe er, wie ein Polizeizeuge ausgesagt hatte, den möglichen Ärger der Frauen mit der Staatssicherheit bewußt in Kauf genommen. Strafmildernd wertete die Kammer, daß die versuchte „politische Verdächtigung“, die im Vollendungsfall mit zehn Jahren Knast geahndet werden kann, den jungen Mann schon seinen Job bei der Feuerwehr gekostet hatte. Der Paragraph „Politische Verdächtigung“ (§241 des Strafgesetzbuches) bedroht denjenigen mit Strafe, der „einen anderen durch eine Anzeige oder eine Verdächtigung der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden“ ... und dabei „Schaden an Leib und Seele zu erleiden“ ... „oder der Freiheit beraubt“ zu werden.

wvb