: Erzählen oder Nichterzählen
■ Was soll Filmausbildung heute leisten? Der Hamburger Regisseur Hark Bohm fordert Sonderklassen für „narratives“ Kino. Die taz sprach mit Helke Sander, die seit 1981 Professorin an der HfbK in Hamburg ist
Der Akademische Senat der Universität Hamburg wird am Donnerstag darüber entscheiden, ob neue Ausbildungsgänge für Film-und Musiktheaterregie an der Universität im Rang eines eigenen Fachbereichs eingerichtet werden. Dieser Plan sorgt schon lange für Kontroversen.
Regisseur Hark Bohm etwa fordert Sonderklassen für „narratives Kino“. Sollte dieses Konzept verwirklicht werden, würde Hamburg über zwei miteinander konkurrierende Ausbildungsgänge im Filmfach verfügen. Das zumindest befürchten die Kritiker. Folge: Die ohnehin miserablen Bedingungen der Filmausbildung an der Kunsthochschule (HfbK) könnten noch weiter ausgetrocknet werden.
taz: Erzählen, Erzählkino sind für Hark Bohm zentrale Begriffe seiner Überlegungen zur Filmausbildung. Würden Sie sich als Erzählerin begreifen?
Helke Sander: Die Form, in der sich unsere komplexe Wirklichkeit darstellen läßt, ist Gegenstand unserer Arbeit, seit es Film gibt. Alle Leute, die sich mit der Darstellung von Wirklichkeit beschäftigen, sind im Grunde genommen Erzähler. Nur erzählt Godard auf andere Weise als Lina Wertmüller. Ich erzählr Geschichten, die immer etwas mit Gewalt zu tun haben. Dafür gibt es überhaupt keine Form.
Erzählen als Formproblem?
Genau. Wie kann man heute erzählen, wie kann man Formen finden, die dieser Wahrnehmung gerecht werden?
Die neue Ausbildung zielt auf Filme, die vom Publikum akzeptiert werden.
Ich halte es für fragwürdig, den Begriff des Erzählens mit dem der
Publikumswirksamkeit zu koppeln. Wenn man Stoffe erzählen will, die etwas mit der heutigen Wirklichkeit zu tun haben, und den Anspruch hat, etwas zu erzählen, dann muß man die herkömmliche Sprache erst einmal auf ihre Eignung untersuchen. Das französische Kino ist gerade aus Protest gegen das alte Erzählkino entstanden, wie auch der „Neue Deutsche Film“. Das hat sich damals vor 20 Jahren mit einer relativ liberalen Förderungspraxis verbunden und ein bißchen mehr Mut in den Gremien.
Bohm erreicht mit seinen Filmen ein relativ großes Publikum. In der Forderung nach einer Schule für den publikumswirksamen Erfolgsfilm steckt der Vorwurf, daß die Filme der Kunsthochschulabsolventen kein Mensch sehen will.
Nun kann man natürlich nicht die erfolgreichen Filme von Bohm mit den Produktionen von Studenten vergleichen, was den kommerziellen Erfolg angeht. Es ist aber auch nicht Aufgabe einer Hochschule, publikumswirksame Filme zu machen. Erfolg in der Ausbildung läßt sch eher daran messen, ob die Filme gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln und ob es ihnen gelingt, dafür Formen zu finden.
Ist der neue Ausbildungsgang überflüssig?
Prinzipiell ist jede Initiative zu begrüßen, die einer Verbesserung der schlechten Ausbildungssituation dient. Die Filmausbildung ist unbedingt zu verbessern. Wir haben Jahr für Jahr ergebnislos Papiere vorgelegt, aus denen hervorgeht, wie das mit relativ wenig Mitteln passieren könnte. Es geht mir nicht darum, eine Ausbildung für den publikums
wirksamen Spielfilm für überflüssig zu erklären, sondern darum, zu diskutieren, ob dies an einer Universität geschehen muß. Eine Alternative hat meines Wissens nur die Hamburger Handelskammer erwogen, indem sie fragt, ob ein solches Institut nicht von der Wirtschaft eingerichtet werden könnte. Die Situation ist deswegen so ungut, weil diejenigen, die die Ausbildung hier tatsächlich machen, aus den offiziellen Verhandlungen über Ausbildungsänderungen jahrelang ausgeschlossen wurden, obwohl sie sich um die Teilnahme bemüht haben. Damit wird die Hamburger Erklärung der Filmemacher von '79, die Hark Bohm mitformuliert hat, geradezu ins Gegenteil verkehrt. Darin hieß es: „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren: der Spielfilm nicht vom Dokumentarfilm, Filmemacher
nicht vom Nachwuchs, Filme, die das Medium reflektieren nicht vom Erzähl-und Kinofilm“. Wenn die Vielfalt schon auf der Ausbildungsebene eingeschränkt werden soll, dann kann das nicht die erwünschten Folgen haben und auch das angestrebte „Erzählen“ nicht weiterentwickeln.
Bohm sagt ja, daß er der letzte wäre, der der Uni oder der Kunsthochschule Gelder wegnehmen wolle.
Das nehme ich ihm persönlich auch ab. Die Konstruktion eines Instituts zur Weiterbildung soll ja wohl andeuten, daß damit uns nichts weggenommen wird, sondern neue Töpfe erschlossen werden. Aber es ist von frappierender Komik, daß ein neu entstehendes Institut ohne Diskussion als Ausbildungsort für Weiterbildung erklärt wird und damit andere Hochschulen und Filmakademien
kuzerhand zu Ausbildungs stätten für ein Grundstudium werden. Ansonsten läßt sich konzeptionell nichts Weiterbildendes entdecken.
Bohm fordert viel von dem, was auch wir verlangen. Sollte er seine Forderung durchsetzen, dann hat er mehr Glück als wir. Vielleicht ist das dann Weiterbildung. Was die Hochschule betrifft, soll der Senat uns die Gelder geben, die wir Jahr für Jahr für eine vernünftige Ausbildung fordern und das dann meinetwegen Grundstudium nennen.
Fragen: Nicolaus Schröder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen