SARAY BILMECESI

■ „Schätze aus dem Topkapi Serail“ in der Großen Orangerie

Als käme man zu einem Juwelier und Teppichhändler - so rot -gold vornehm lockt die Pracht der „Schätze aus dem Topkapi Serail - Das Zeitalter Süleymans des Prächtigen“ an. Eine Bildungslücke soll geschlossen werden, die gerade hinsichtlich der jüngsten Beziehungen der Türkei zu den europäischen Staaten besonders peinlich auffiel.

Aber mehr von der Anhäufung des Reichtums als von der Entwicklung der Türkei im 16. Jahrhundert vermittelt die Ausstellung den Schlange stehenden Besuchern. Aus dem Kunsthandwerk, aus Tellern und Teppichen, Paradehelmen und Schreibkästen, Gürteln und Stirnbändern, Thronsesseln und Kaftanen läßt sich kaum eine Vorstellung von den Lebenszusammenhängen gewinnen. Es sind herausgelöste Zeichen aus einem System der Repräsentation, deren Bedeutungen und Beziehungen verschlossen bleiben. Die Herkunft der Dinge kann die Geschichte der Eroberungen und Beutezüge spiegeln; ihr Besitz die Stellung des Besitzenden. Geschenke regelten Beziehungen; der Weg der Dinge drückte Machtverhältnisse aus.

Aber aus dem Nicht-Verstehen heraus kann man die Ausstellung als Märchenkulisse und Anlaß zu phantastischen Erfindungen nehmen. Der Suche nach Rätseln und Geheimnissen bietet sie reichlich Material.

Ob die Prinzen in den mit magischen Quadraten, Koranversen, Gebeten, 99 Gottesnamen und Zahlen beschriebenen Talismanhemden zaubern konnten? Die Hemden, Geschenke an die Prinzen, sollten magische Kräfte verleihen und Geschosse abhalten; doch blieben die meisten, die das Topkapi-Museum noch heute besitzt, ungetragen.

Schreibkästen aus grünlichem Stein oder chinesischem Porzellan, besetzt mit goldenen Ornamenten und Edelsteinen: tauchte hier Süleyman die Feder ein, um seine Gedichte zu schreiben oder um die Todesurteile zu unterzeichnen? Die Geschichte von Aufstieg und Hinrichtung von Ibrahim Pascha erscheint als faszinierende Parabel; ein mächtiger Großwesir und erfolgreicher Oberbefehlshaber, wurde er nach der triumphalen Rückkehr aus einem Irakfeldzug plötzlich hingerichtet. Die Gründe dafür seien nicht bekannt, heißt es. Dabei scheint das Motiv, seine Macht, klar; erstaunlich ist nur der Verzicht auf einen offiziellen Vorwand der Hinrichtung.

Wahrscheinlich konnte man mit den Teppichen nicht von der Südspitze des osmanischen Reiches im Jemen bis nach Budapest und Eger im Norden fliegen, mit den bestickten Stiefeln keine Sieben-Meilen-Schritte tun, durch den kleinen Handspiegel keine heimlichen Blicke in die Frauengemächer werfen, keine engelsschöne Peri und keine bösen Biw in der Goldflasche fangen, mit dem Vorhängeschloß aus vergoldetem Silber keine Stadt in der Wüste zaubern. Wahrscheinlich machten nicht einmal die Gürtel aus Elfenbein unsichtbar.

Aber ist es vielleicht weniger phantastisch, daß die osmanische Flotte aufgestiegenen Seeräubern unterstand und es lange Zeit „keine klare Unterscheidung (gab) zwischen Piraterie und Handel und Zusammenstößen zwischen einzelnen Schiffen und denen einer Flotte auf Befehl einer Regierung“. Es ist weniger legendenhaft, daß die Janitscharen, die Elite -Truppe des Sultans, sowie die meisten hohen Finanz- und Verwaltungsbeamten meistens Söhne von Hirten und Bauern aus den Balkanländern waren, die die Osmanen als Tribut rekrutierten?

Verwirrend liest sich die Geschichte der Kalligraphie und ihrer angesehenen Meister, die nicht nur in verschiedenen Sprachen schrieben, sondern eine Vielzahl von Schriften, Stilen und Schulen ausbildeten. Spannend die Entwicklung der Kartographie: da Landkarten und Festungspläne zum großen Teil als militärisches Geheimgut galten, weil sie für Eroberungen, Beherrschung, Verteidigung notwendiges Wissen vermittelten, blühte mit ihnen der geheime Handel, Schmuggel und Spionage - aber auch Verbote, Vernichtung und Verluste sorgten dafür, fast eine Geheimwissenschaft aus der Geographie zu machen. Für eine Weltkarte, die Teile Europas, Afrikas und Amerikas verzeichnet, dienten portugiesische Karten und die Erinnerung eines spanischen Sklaven, der mit Kolumbus in die Neue Welt gesegelt war, als Quellen.

Katrin Bettina Müller

„Schätze aus dem Topkapi Serail“, Große Orangerie, bis zum 31. Juli täglich von 10 bis 22 Uhr.