'Arche Nova‘ - Reiselektüre fürs nächste Mal

■ Ein neues Umweltblatt in der DDR - Organ der „Arche“, einem grünen DDR-Netzwerk / Bericht über Leibziger Luft

Diese Lektüre hat Klaus Töpfer gefehlt. 'Arche Nova‘. „Innerkirchlich“ ist am 1.Juli das fundierte Umweltblatt erschienen, als „Forum für ökologische Gestaltung in Umwelt und Gesellschaft“. Die Auflage: über 1.000. Das 60seitige Blatt fühlt sich „Glasnost und Perestroika verpflichtet“. Herausgeber ist die „Arche“, ein grünes Netzwerk in der evangelischen Kirche der DDR. Der lose Verbund will die Arbeit von Ökogruppen koordinieren. In der DDR gibt es rund 200 von ihnen. Erfahrungen und Erkenntnisse sollen ausgetauscht werden; denn der Staat teilt nichts mit. Gegründet haben maßgeblich Mitglieder der Ost-Berliner Umweltbibliothek den „grün-ökologischen Bund„; Sitz ist die Andreas-Markus-Gemeinde. Die erste 'Arche Nova‘ hätte sicher auch Klaus Töpfer interessiert, denn die ersten Artikel beschnuppern die Luft, die der Umweltminister in Leipzig ertragen mußte.

Von fünf bis sechs Millionen Tonnen Schwefeldioxidausstoß pro Jahr in der DDR entfallen mehr als 50 Prozent auf das Gebiet um Leipzig, der waldärmsten Region in der DDR. Der größte Schwefeldioxidausstoßer ist die in Espenhain stehende Braunkohleveredelungsanlage, die größte Europas. Sie ist 50 Jahre alt und wurde schon zum technischen Denkmal erklärt. Allein hier stehen 30 Öfen im vollen Betrieb, obwohl sie schon 1975 stillgelegt werden sollten.

Modernisierungsarbeiten kommen nur schleppend voran: drei Öfen wurden seit 1986 erneuert, acht hätten es sein sollen. Die gesundheitsschädlichen Folgen der ständig schlechten Luft sind erheblich. In 8.100 Untersuchungen von 240 Krippenkindern wurde binnen eines Jahres 700 Mal die Diagnose „fieberfreie Bronchitis“ gestellt, die deutlich abhängig ist von der Schwefeldioxid-Konzentration.

Generell verzeichnet die DDR die höchste Pro-Kopf-Belastung an SO2 unter den Industrienationen. 15 Braunkohlekraftwerke blasen rund zwei Millionen Tonnen SO2 im Jahr in die Luft. Um durch Entschwefelungsanlagen die Emissionen um 95 Prozent zu reduzieren, würden Kosten zwischen sechs und elf Milliarden DDR-Mark entstehen, schreibt die 'Arche Nova‘. Wärmedämmung, Modernisierung der 15.000 Industrieöfen und effektivere Haushaltsgeräte könnten ein Anfang sein, um generell Strom zu sparen, allein im letzteren Fall bis zu 70 Prozent.

Die Modernisierung von Braunkohlekraftwerken koste, so die Öko-Zeitung, rund 18 Milliarden DDR-Mark, verteilt auf zehn Jahre. 60 bis 70 Millionen Tonnen Rohbraunkohle pro Jahr bräuchten wegen der dann effizienteren Verbrennung weniger abgebaut werden, zur Zeit sind es 300 Millionen. Das Modernisierungskonzept ließe sich so bis zum Jahre 2000 allein durch Kosteneinsparungen im Tagebau finanzieren.

Eine Reportage aus Bitterfeld beschreibt die sozialen Folgen, die andauernde Umweltzerstörung mit sich bringt: „Eine geistige Verarmung der Bevölkerung, besonders der Jugend, ist zu beobachten. Alkoholismus, Sadismus gegen Mensch, Tier und Landschaft sind alltäglich. Arbeitsmoral und jegliche Kreativität sind im Fallen und haben erschreckende Ausmaße erreicht.“ Gleichgültigkeit mache sich breit. Selbst Landwirte würden nicht darüber reflektieren, wie „im Düngerbomber“ 3.500 Tonnen Stickstoffdünger, die „über den Plan produziert werden, unter oder besser über die Leute gebracht werden“. Im Werk würde nachts fast ohne Kontrolle, mit hohem Schadstoffauswurf und ohne Filteranlagen produziert, denn der „Dispatcher“ für die Nacht, dem die Oberaufsicht über die Emissionen obliegt, „ist nur eine Person, und die kann nicht überall sein“.

Erschreckend auch das „Deponierverhalten des Chemiekombinats“. Auf der Deponie „Freiheit III“ würden quecksilberhaltige Abfälle und Bauschutt verkippt. Wasser aus schwermetalligem Schlamm - per Waggon angebracht sickert auf die Tagebausohle. Dort wird mit Pumpen Brauchwasser gewonnen, und „somit werden die Schadstoffe in gelöster Form dem Werk wieder zugeführt“: ein Recycling -Verfahren als Teufelskreis...

eck