Schmutzige Elbe - reine Gewissen

■ Grenz-Werte überschatteten den Besuch von Umweltminister Klaus Töpfer in der DDR

Das Siechtum der Nordsee und dicke Luft sollten Gegenstand des deutsch-deutschen Umweltgipfels sein. Doch dicke Luft war in den vergangenen vier Tagen nicht nur in Leipzig spürbar, und nicht nur Elbwasser trübte den Blick. Ganz andere Grenz-Werte, als Klaus Töpfer vielleicht erhofft hatte, standen bei den Gesprächen in der DDR im Mittelpunkt. Die immer noch offene Frage der deutschen Elbgrenze blockiert konkrete Rettungsmaßnahmen für die deutsch -deutsche Umwelt. Dabei liegen viele Fakten noch gar nicht auf dem Tisch, etwa die eines geplanten Hafens für die Giftmüll-Deponie Schönberg. Auch gelten Umweltdaten in der DDR, etwa über die tatsächliche Höhe der Emissionen, immer noch als Staatsgeheimnis. Aber keine Panik: „Es wird weiter sondiert.“ Schön, daß zumindest darin schon gesamtdeutsche Einigkeit besteht.

Vor einer Woche im DDR-Fernsehen: Die „Aktuelle Kamera“ sammelt Stimmen von einer Erfurter „Bestarbeiterkonferenz“. Ein Kali-Forscher teilt mit: „Unsere Lagerstätten werden schlechter, die Kaliinhalte immer geringer.“ Das heißt, mehr Abfall bei weniger Ausbeute. Aber Rohstoffwirtschaft sei eine „politische Frage“, möglichst effektiv müsse das Salz gewonnen werden, für die heimische Düngemittelindustrie und den Export. „Möglichst effektiv“ - das wird, wenn der Plan erfüllt wird - die Werra weiter ruinieren.

1987 hat die DDR 14 Millionen Tonnen Salzfracht in den Grenzfluß eingeleitet, und die Tendenz ist steigend. 450 Kilo Salz fließen pro Sekunde durch die Werra in die Weser. Die DDR würde Abhilfe schaffen, wenn ihr wichtigster Weltmarktkonkurrent, die hessische „Kali & Salz AG“, selbstentwickelte Schlüsseltechnologie überlassen würde preiswert, versteht sich. Das hat der DDR-Umweltminister Reichelt vorgeschlagen: die Bundesrepublik kauft die Lizenz begehrter Hochtechnologie von Firmen, und die DDR übernimmt dann „diese Lösung aus der Bundesrepublik“. Andernfalls wird auf Teufel-komm-raus produziert wie gehabt. Dabei unternehme die DDR „große Anstrengungen zum Schutz der Gewässer“, wie Hans Reichelt zum Auftakt des Töpfer-Besuchs betonte. Umweltminister sind eben zugleich Beruhigungsminister, Töpfer und Reichelt nehmen sich da nichts.

Zahlreiche Musterbeispiele und Forschungsprojekte hat Reichelt in diesen Tagen seinem Bonner Kollegen vorgeführt und Wissenschaftler referieren lassen, daß die Schwefeldioxidbelastung der Luft in der DDR mit neuen Methoden um 30 Prozent gesenkt werden könnte. Doch dieses Forschungsprogramm läuft erst an. Fünf Millionen Tonnen Schwefeldioxid im Jahr emittiert die DDR (die Bundesrepublik weniger als drei Millionen).

Ein Smog-Frühwarnsystem hat Töpfer gefordert, wichtigste Grundlage dafür wäre ein freier Datenaustausch. Doch seit 1982 sind Umweltdaten „geheime Verschlußsache“ in der DDR. Die Forderung nach regelmäßiger Veröffentlichung von Umweltmeßdaten und nach effektiveren Bemühungen im Kampf gegen die Luft- und Wasserbelastung haben in letzter Zeit auch zahlreiche DDR-Bürger sowie Kirchen und Umweltgruppen zu Eingaben an staatliche Stellen veranlaßt, ein Eifer, der noch keine Früchte trägt.

Aber Umweltpolitik mit der DDR sei noch problematischer als mit der EG, beschreibt Klaus Töpfer die starre Haltung der DDR. Man müsse hier „dicke Bretter schneller bohren“. Besonders stank dem Bundesumweltminister, daß sein Kollege Reichelt immer wieder betonte, die Elbe wäre erst dann zu säubern, wenn Bonn eine glasklare Grenze im dreckigen Strom zieht: genau in der Mitte. Ein tödliches Junktim für die Natur. DDR und CSSR tragen fast 95 Prozent zur Belastung der Elbe mit sauerstoff-zehrenden Stoffen bei, berechnet die Bundesrepublik. Über Schwermetalle wie Quecksilber und Kadmium sowie chlorierte Wasserstoffe, Ammonium und andere schwer abbaubare Lösungen sollte eigentlich seit 1983 verhandelt werden, doch dazu kam es nie und die DDR zeigt ein reines Gewissen. Stickoxide und Phosphate, die zur Nordseeüberdüngung führen, trage sie nur zu drei Prozent bei, betonte Reichelt. Töpfer wurde daraufhin unwirsch: Das „Um-den-heißen-Brei-herumreden“ habe er satt. Sogar ein Mittagessen fiel wegen der Grenz-Wert-Debatte flach. Erstes Ergebnis: es wird weiter „sondiert“. Dann lockerte Reichelt in 'Bild‘ seine Haltung minimal. Nicht mehr „notwenig“, nur noch „nützlich“ sei die Grenzregelung, um einvernehmliche Lösungen zu finden.

Auf mehreren Reisestationen gingen sich die beiden Umweltminister eher aus dem Weg als aufeinander zu. Selbst Töpfers Anregung, den Schalsee zum gemeinsamen Naturschutzgebiet zu erklären, weil die Grenze durch ihn laufe, fand wenig Begeisterung. „Das Wort gemeinsam hört man hier nicht gerne“, war Töpfers bitteres Resümee.

Und in Leipzig nervte ihn noch ein Thema, daß nicht auf der Tagesordnung stand. Zum Übernachten war Töpfer im Hotel Astoria am Bahnhof einquartiert. Er konnte nicht schlafen. Nur wegen des Lärms?

Eins mag ihn trösten. Anders als ihr Umweltminister nach außen zeigt die DDR nach innen immer häufiger Sensibilität in Umweltfragen. „Bleibt der Harzwald grün?“, fragte vor kurzem die 'NBI‘, eine populäre Illustrierte in der DDR. Ein Förster beschrieb die „sogenanten neuartigen Rauchschäden“ unter dem Einfluß von Stickoxiden, „im Gegensatz zu den durch Schwefeldioxid verursachten klassischen Waldschäden“ im Harz. Beinahe wäre ihm die Vokabel „Waldsterben“ rausgerutscht: „Unter Umständen sterben die Bäume“, so der Förster. Emsig würden Wälder aus Flugzeugen gedüngt und für die Oberlagen des Harzes resistente Lärchenarten gezüchtet.

Ein anderes Beispiel: Im DDR-Fernsehen läuft „Kreisläufe“, ein neues Ökomagazin. Themen im Juni: kaputtes Stadtgrün und Gülle-Belastung, die Schadstoffe in Gewässer trägt. Die jüngste Ausgabe der satirischen Wochenzeitung 'Eulenspiegel‘ spottet sogar indirekt über die beschwichtigenden Worte ihres Umweltministers: „Bekanntlich ließ König Augias seinen Stall unglaublich verdrecken, so daß Herakles mit dem Ausmisten alle Mühe hatte. Herakles leitete einen Fluß um und durch den Stall. Was heute gar nicht mehr möglich wäre. Welchen Fluß wollte man nehmen? Aber das nur nebenbei.“ Die Elbe dürfte inbegriffen sein, entwässert sie doch 75 Prozent des Gebiets der DDR.

Im 'Neuen Deutschland‘ vertraute Umweltminister Reichelt auf die Segnungen moderner Technologie: EDV-Dünge -Empfehlungen würden die Überdüngung ausschließen, die zu Grundwasserbelastungen führt. Der 'Eulenspiegel‘ nimmt den Computerglauben aufs Korn. Eine Karikatur zeigt ein Ehepaar, das sich aus dem Fenster lehnt. Vor ihren Augen qualmende Schlote und eine gräulich verdreckte Stadt. Unterzeile: „Unsere Stadtordnung existiert bloß auf dem Papier.“ „Abwarten! Demnächst haben wir sie auf Diskette!“

Holger Eckermann