Bayerische Zwangstherapie

Nach Aids-Test bei einer Blutspende wurde eine Studentin in München zwangsweise in die Nervenklinik verfrachtet / Angeblich wegen Suizidgefahr  ■  Von Ursel Sieber

Berlin (taz) - Tatort Bayern: Eine Blutprobe wurde einer 23jährigen Münchner Studentin zum Verhängnis: Nach einem HIV -Test, der einmal positiv und einmal negativ ausfiel, wurde sie - angeblich selbstmordgefährdet - für zwei Tage zwangsweise in eine Nervenklinik eingeliefert. Wegen Freiheitsberaubung und Nötigung hat die Studentin jetzt über den Rechtsanwalt Peter Wackerbauer Strafanzeige erstattet.

Vor rund zwei Monaten, im Mai dieses Jahres, war die 23jährige Frau auf dem Münchner Gesundheitsamt, um Blut zu spenden. Das Amt testete die Blutspende routinemäßig auf HIV -Antikörper. Einige Tage nach ihrer Blutspende erhielt die Studentin ein Schreiben der Gesundheitsbehörde mit der Aufforderung „zu einem persönlichen Gespräch“. Wiederum einige Tage später, am 3. Juni, kam die Münchnerin dieser Bitte nach. Ihr Freund hat sie begleitet.

Was dann folgte, schildert der Anwalt so: Nach dem ihm vorliegenden Testergebnis, so eröffnete ihr nun der Leiter des Gesundheitsamts, Dr. Norbert Kathke, müsse man davon ausgehen, daß sie HIV-infiziert sei.

Die Ergebnisse waren allerdings nicht eindeutig: Der üblicherweise angewandte „Elisa„-Antikörpertest sei positiv ausgefallen, und auch einer von zwei durchgeführten Bestätigungstests habe ein positives Ergebnis angezeigt, der zweite Bestätigungstest sei jedoch negativ gewesen. Darum, so der Leiter weiter, müsse der Test nun erneut wiederholt werden. Der Elisa-Bluttest weist eine sehr hohe Fehlerquote (bis zu 30 Prozent) auf und muß deshalb immer bestätigt werden. Fällt ein Bestätigungstest negativ aus (im Falle der Studentin war der als sehr genau geltende Immunfluoreszenz -Test negativ), werden die Betroffenen aufgefordert, den Test nach einer Frist zu wiederholen; fällt der Bestätigungstest dann wieder negativ aus, sind sie nicht infiziert. Fortsetzung auf Seite 2

Auch die Studentin wurde von Dr. Kathke nun gebeten, die Blutprobe zu wiederholen. Sie ließ sich das Blut abnehmen. Dann forderte Kathke sie auf, den Namen ihres „Geschlechtspartners“ zu nennen. Die Frau weigerte sich zunächst, gab dann aber nach und sagte, ihr Freund warte draußen vor der Tür. Er wurde nun ebenfalls zur Blutprobe hereingerufen.

Seine Mandantin, so der Anwalt, habe im Verlauf des Gesprächs wohl die Bemerkung fallen lassen, als HIV -Infizierte könne man sich ja wohl gleich umbringen. Der Leiter des Gesundheitsamts erklärte sie daraufhin als suizidgefährdet und führte sie ins Zimmer einer Nervenärztin des Gesundheitsamtes. Seine Mandantin, so drückte sich der Anwalt aus, sei allerdings „nicht freiwillig“ mitgegangen. Sie ahnte jedoch nicht, daß die Amtsärztin das Gespräch noch am selben Tage zu einer nervenärztlichen Stellungnahme verarbeitete, und die Behörde aufgrund dieses Gutachtens sofort eine Anordnung zur „amtlichen Unterbringung“ in die Nervenklinik Haar bei München erließ.

Am nächsten Morgen fiel die 23jährige Frau dann aus allen Wolken. Es klingelte an der Wohnungstür, zwei Polizeibeamten kamen herein, forderten sie auf, zur Wache mitzukommen und durchsuchten die Wohnung. Einen Durchsuchungsbefehl besaßen sie, wie sich auf der Wache herausstellte, nicht. Dort fand sich jedoch die amtliche Einweisung in die Nervenklinik, und wenig später wurde die Studentin im Krankenwagen abtransportiert in die geschlossene Station der Klinik in Haar. Die Nacht verbrachte sie kameraüberwacht. Am nächsten Tag, verlangte sie ein Gespräch mit dem Amtsrichter. Weil sich auch der Richter auf das Gutachten der Nervenärztin stützen müsse, so eröffnete ihr ein diensthabender Arzt, riskiere sie, noch vier Wochen länger in der Klinik bleiben zu müssen. Wenn sie jedoch eine Erklärung unterschreibe, wonach sie sich freiwillig „in die Obhut der Klinik“ begeben habe, werde sie am darauffolgenden Tag entlassen. Die Studentin unterschrieb, und durfte am Montagmorgen nach Hause. Zuvor fanden noch zwei Gespräche statt, mit einem Therapeuten und einem Arzt. Der Arzt tastete nach geschwollenen Lymphdrüsen - mit Gummihandschuhen.