Schlechte Nachrichten von der Auskunft

■ Ein Arbeitssaal, 60 „Kräfte“, etliche rote Lampen und vier Beaufsichtigerinnen / „Miesester Arbeitsplatz im ganzen Fernmeldeamt“ / Jungens lernen Löten, Mädchen geben Telefonnummern bekannt

Die „1-1-8-8“ ist mit Abstand Bremens beliebteste Telefonnummer. Mit fast 100.000 wöchentlichen AnruferInnen rangiert sie weit vor der Zeitansage, dem Reisewetterbericht oder der Feuerwehr. Vor allem in den „Hauptverkehrszeiten“ an den Montagen ist sie begehrt, wie ein Computer schon jetzt sorgfältigst mitzählt.

Die Auskunft gilt gleichzeitig als der „mieseste Arbeitsplatz“ im Bremer Fernmeldeamt. Eine ehemalige Mitarbeiterin: „Das ist der einzige Arbeitsplatz, an dem Frauen dastehen, um jüngere

Frauen zu beaufsichtigen. Die totale Kontrolle.“

Wenn Sie etwa heute, am Freitag, Bremens beliebteste Telefonnummer anwählen, kommt ihr Anruf mit durchschnittlich 14.999 anderen an diesem Tag in einem riesigen altmodischen Arbeitssaal an. Verborgen hinter übergroßen Datensichtgeräten und ständig beobachtet von Aufseherinnen sitzen hier die Frauen und auch die wenigen Männer, die sich in Schichten rund um die Uhr mit „Fernsprechauskunft-Platz -Eins-Zwei-Sieben“ melden.

Und immer, wenn Sie sich als TeilnehmerIn - nichts Böses ahnend - im „Wartefeld befinden“ und vom Band die wohlvertraute Ansage hören, „Alle Plätze sind besetzt. Bitte warten Sie“, dann lösen Sie das Aufleuchten kleiner nervöser Lämpchen an allen eingestöpselten Arbeitsplätzen aus. Und, falls Sie - vielleicht schon etwas gereizt - ein Besetztzeichen bei der Auskunft zur Kenntnis nehmen, können Sie sicher sein, daß in dem Saal der sich ausbreitende Streß um ein Vielfaches größer ist als bei Ihnen zu Hause am Hörer, daß dort bedrohlich tickernde, rote Deckenlampen aufleuchten, die den „Kräften“ signalisieren, „in die Tasten zu greifen, sich etwas kürzer zu halten“ - so der Stellenvorsteher gegenüber der taz.

Knapp hundertfünfzig Frauen und sieben Männer arbeiten in der Fernsprechauskunft. Ca. hundert von ihnen sind RealschulabgängerInnen, die eine vier-bis-fünfjährige Laufbahn als „Nachwuchskraft für den mittleren Fernmeldedienst“ eingeschlagen haben. Ihnen wurde zur Auflage gemacht, hier 3 - 3 1/2 Jahre dieser Nachwuchszeit abzusitzen, um den traditionellen Arbeitskräftemangel in der ungeliebten Auskunft zu beheben. Die kurze restliche Zeit vor der BeamtInnen-Prüfung verbringen die jungen Frauen in Dienststellen, wo Fernsprechanschlüsse angemeldet, Rechnungen bearbeitet oder Anträge auf Geheimnummern abgelehnt werden. Auch Jungen bewerben sich bei der Post als Nachwuchskräfte, doch sie wollen zumeist Fernmeldehandwerker werden. Sie dürfen Löten und Schweißen lernen, derweil all die Mädchen, die nicht gerade „Fernmeldehandwerkerin“ lernen, in der Auskunft jahrein jahraus Telefonnummern und Ortsnetzkennzahlen heraussuchen.

Außer den 100 Nachwuchs- sitzen noch 50 Teilzeitkräfte hinter den Datensichtgeräten. Meist Frauen mit Kindern. Ihr Leben ist nach dem Dienstplan eingeteilt. Sie arbeiten manchmal vormittags, manchmal nachmittags,

abends oder wochenends, eine Abfolge, die das Leben flexibel erscheinen läßt und auch mal ein häusliches Frühstück morgens um 11 möglich macht. Aber auch ein Dienstplan, der sich ganz und gar nicht nach den Öffnungszeiten der Kindergärten und Schulen richtet.

Mehrmals in einem Monat darf der Dienst mit einer Kollegin getauscht werden. Freundschaften zwischen Kolleginnen entwickeln sich nur selten, ein solidarisches Betriebsklima kam in dem Arbeitssaal bisher nicht zustande.

Mehrere Aufseherinnen überwachen die - sich auch ggegenseitig überwachenden - bis zu 60 Frauen hinter den Sichtgeräten, sie gehen durch die Gänge, können den Arbeitsablauf aber auch auf kleinen Schalttafeln kontrollieren. Und zu kontrollieren gibt es vieles: Daß eine die zehnminütigen Pausen, die ihr aufgrund der anstrengenden Bildschirmarbeit zusteht, nicht überzieht. Daß eine nicht zu oft zur Toilette rennt - wobei allerdings die penibel geführten „Pinkellisten“ mittlerweile wieder abgeschafft wurden. Zu kontrollieren gibt es au

ßerdem, daß eine „Kraft“ nicht mehr als zwei Privatgespräche a sechs Minuten pro Tag führt und, wichtig, daß eine nicht zulange mit einem Teilnehmer redet. Zeit ist schließlich Geld, und eine Auskunft kostet genaugenommen zwei Mark.

Beschwerde führen vor allem Männer. Sie sind es auch die von den Anrufenden - den Frauen am meisten zusetzen: „Komm Mädel, jetzt mach mal“, ist so, Barbara Deußer, nur eine der harmloseren täglichen Unverschämtheiten: „Du fühlst Dich wie der letzte Dreck. Das ist der gleiche Ton, den sie sich Vorzimmerdamen gegenüber erlauben.“

Der Stellenvorsteher der Auskunft ist selbstverständlich ein Mann. Er hat in seinem Leben schon zwei Arbeitstage in der Auskunft gesessen, was er den Rest der Zeit tut, ist den Frauen unter den Köpfhörern allerdings „schleierhaft“, denn für Aufsicht und Dienstplanung sind schließlich Frauen zuständig. Der Stellenvorsteher hat an der Wand eine Kurve hängen, auf der die Zahl der täglichen Anrufe akribisch eingetragen ist. Auch befaßt er

sich damit, daß 1989 eine neue Technologie in dem Arbeitssaal Einzug hält. Dann werden die Frauen nicht mehr wie schon seit zwanzig Jahren - Mikrofiches mit verkleinerten Telefonbuchseiten auf das Datensichtgerät projizieren und auf dem Schirm Telefonnummern selbst heraussuchen, dann werden sie nur noch wichtige Daten der gewünschten FernsprechteilnehmerIn (Name, Vorname, Wohnort, Straße) in einen neuen Computer eintippen, und binnen Sekundenbruchteilen wird der Computer die gewünschte Nummer in einem zentralen Datenspeicher gefunden haben. Zwanzig bis dreißig Prozent mehr Anrufe pro intensivierter Arbeitsstunde kann die fleißige Beantworterin dann abwickeln. Die ständige Sucharbeit, die ab und an auch den Scharfsinn herausforderte, der Kontakt zu den AnruferInnen, der schließlich nicht nur aus Anmache bestand, als dies wird wegfallen: „Intensiverung, Verblödung und totale Kontrolle“ sieht eine Postlerin auf ihre Kolleginnen zukommen.

Barbara Debus