WAA: Gehet hin und mehret Euch!

■ Bei der Anhörung gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf droht die Öffentlichkeit zu verschwinden - unter kräftiger Beihilfe der bayerischen Atomkoalition / In dieser Woche kommt Wiens Umweltministerin

Berlin(taz) - Nach einer Woche Wackersdorf-Anhörung in Neunburg vorm Wald wächst die Gefahr, daß die gerade erst aufgenommene Sachdiskussion über das Milliarden-Projekt Wiederaufarbeitungsanlage weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit ablaufen wird. Am Freitag fanden sich kaum mehr 150 WAA-GegnerInnen vorwiegend aus dem Umfeld der regionalen Bürgerinitiativen in der Stadthalle von Neunburg ein. Die überregionale Presse war fast vollständig abgereist.

Wenn in den kommenden Wochen der Trend nicht gestoppt und umgekehrt werden kann, wird das Bayerische 'Umweltministerium‘ recht behalten, das die Erörterung bereits im Vorfeld auf einen „formalen Schritt im Genehmigungsverfahren“ herunterredete.

Die große Mehrheit der 881.000 EinwenderInnen hat die Chance, die Veranstaltung in ein Wochen dauerndes politisches Tribunal gegen den zentralen Baustein des bundesdeutschen Atomprogramms zu verwandeln, offenbar noch nicht gesehen. Das österreichische Umweltministerium, mehrere Landesregierungen der Alpenrepublik, die bayerische Landeshauptstadt München und mit ihr einige Dutzend Städte und Gemeinden, außerdem sämtliche führende Umweltverbände der Republik, Bundes- und Landtagsabgeordnete von SPD und Grünen haben im Vorfeld der Anhörung gemeinsam mit den regionalen Bürgerinitiativen angekündigt, sie würden den detaillierten Nachweis führen, daß die geplante Anlage ohne eine gewaltige Gefährdung der Umwelt nicht betrieben werden kann. Fortsetzung und Bericht

auf Seite 2

FORTSETZUNG VON SEITE 1

Die Qualität des versammelten juristischen und wissenschaftlichen Sachverstands auf Seiten der WAA-Gegner macht ein solches Ergebnis wahrscheinlich.

Den politischen Niedergang des Projekts können die „besseren Argumente“ der EinwenderInnen aber nur einleiten, wenn eine Öffentlichkeit erreicht wird, die über das gegenwärtige Spektrum der WAA-Gegner weit hinausreicht.

In den ersten vier Tagen der Anhörung ist es den Einwender -Vertretern mit seltener Präzision gelungen, sachliche Inkompetenz, personelle Verflechtung und politische Voreingenommenheit des Münchner Umweltministerium als Genehmigungsbehörde deutlich zu machen. Angeblich neutralen Gutachtern wie dem TÜV Bayern konnte ihre Verpflichutung auf die Sache der WAA-Betreiber nachgewiesen werden noch bevor die inhaltliche Diskussion begann.

Eine sachgerechte Entscheidung über die 881.000 Einwendungen - das wurde augenfällig - kann von dieser Behörde und diesen Gutachtern nicht erwartet werden. Auf dieser Grundlage wird nun über die Sache verhandelt. Adressat der EinwenderInnen ist deshalb an erster Stelle die Öffentlichkeit.

Mit der Orts- und der Terminauswahl, mit der bürokratischen Behinderung von LehrerInnen und SchülerInnen, die an der Veranstaltung teilnehmen wollten, ist es den bayerischen Behörden gelungen, die ohnehin mäßige Mobilisierung ausgerechnet zu Beginn der inhaltlichen Auseinandersetzungen gegen Null zu drücken.

Die bayerische Staatsregierung hat ihr Ziel erreicht, wenn in der Stadthalle von Neunburg die vielfältigen Gefahren des Projekts im Taxölderner Forst zwar eindringlicher sichtbar werden als je zuvor, aber nur noch wenige zuhören.

Am kommenden Dienstag wird in Neunburg der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizäcker über die Folgen möglicher Kriegseinwirkungen auf die WAA sprechen. Voraussichtlich am kommenden Freitag kommt die österreichische Umweltministerin Fleming, um ihre Einwendungen vorzutragen.

Ebenfalls in der kommenden Woche beginnen in Bayern die Schulferien. Die Beteiligten der Anhörung haben sich in der vergangenen Woche darauf geeinigt, daß nicht nur EinwenderInnen, sondern alle Interessierten an den Verhandlungen teilnehmen können. Noch ist nicht aller tage Abend.

Kiel (dpa) - Dem Seehundsterben in Nord- und Ostsee sind bisher rund 3 000 Tiere zum Opfer gefallen. Der Sprecher des internationalen Gemeinsamen Wattenmeer-Sekretariats in Wilhelmshaven nannte am Freitag auf Anfrage folgende Zahlen: Norwegen 30 bis 130, Schweden mindestens 700, Dänemark über 1 200, Schleswig-Holstein mehr als 850, Niedersachsen über 100 und Niederlande etwa 50. Nach Ansicht des Sprechers leben in diesen Wattengebieten nach letzten Erhebungen noch 7.500 Seehunde.