Die Blockade von Karabach

Ein Radio-Journalist berichtet aus der armenischen Exklave in Aserbeidjan, die Verbindungen in das Gebiet seien gekappt / Generalstreik bereits in der vierten Woche / In Eriwan wieder Hunderttausende auf der Straße  ■  Von Florian Bohnsack

Berlin (taz) - Aserbeidjan will offenbar mit einer totalen Blockade das autonome Gebiet Nagorny-Karabach, das für einen Anschluß an Armenien kämpft, zur Aufgabe der Anschlußpläne zwingen. In der armenischen Exklave wird seit über drei Wochen gestreikt. Ein Rundfunkjournalist in Stepanakert, der Hauptstadt von Nagorny-Karabach, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur ap, einer Aeroflotmaschine aus der armenischen Hauptstadt Eriwan sei am Freitag die Landung in Stepanakert untersagt worden. Auch sei der Busverkehr mit den armenischen Städten Kirowakan und Kafan eingestellt worden und damit eine Belieferung mit Lebensmitteln aus Armenien unmöglich geworden. Zudem gebe es keine Wirtschaftsverbindungen mehr zu Aserbeidjan.

Trotz zunehmender Drohungen in den sowjetischen Medien haben auch am Freitag über 150.000 Menschen in Eriwan demonstriert. Am Donnerstag waren rund 300.000 Menschen in der armenischen Hauptstadt auf die Straße gegangen. Gleichzeitig wurden die seit zwei Wochen dauernden Streiks in Eriwan und den armenischen Städten Abowjan, Leninakan und Kirowakan fortgesetzt. Bis Montag sollen die Streiks und Demonstrationen in jedem Fall andauern. Dann berät das Präsidium des Obersten Sowjets in Moskau über die Entwicklung um Nagorny Karabach. Am Donnerstag abend wurde der Parteichef von Eriwan, Levon Saakian, nach harscher Kritik an der Unfähigkeit der Behörden, Ruhe und Ordnung zu schaffen, abgesetzt und durch den Beauftragten für das Transportwesen in Armenien, Michail Minasbekian, ersetzt. Die Drohungen in der sowjetischen Presse nehmen seit einer Woche deutlich zu. So brachte die Regierungszeitung Iswestija eine Reportage aus Stepanakert, in der sie von „diesen unrasierten jungen Leuten“ berichtete, „ohne die keine öffentliche Veranstaltung verläuft“. Angeblich habe er sie rufen hören: „Wir sind Todeskandidaten. Ohne den Anschluß sind wir zu allem fähig!“, schrieb der 'Iswestija' -Korrespondent Kasichanow weiter. „Fast alle sah ich in der Nähe der Partei- und Staatsfunktionäre der Stadt, ich hatte beinahe den Eindruck, sie seien ihre Leibwache“. Auch gebe es viele Gerüchte über Morde und Mißhandlungen an Armeniern durch Aserbeidjaner, die sich aber bei seinen Recherchen nicht bestätigt hätten. Diese Gerüchte würde aber weder die Presse noch das Gebiets- und Stadtparteikomitee aufklären. Im Innenministerium Aserbeidschans glaube man, „es drohe die ganze Zeit die Gefahr einer Provokation aus der Bevölkerung, um die Situation weiter zuzuspitzen. Dabei könnten die Führer des Aufstands versuchen, einen Konflikt zwischen Armeniern und Aserbeidjanern, oder im schlimmsten Fall zwischen dem Militär und den Armeniern im Autonomen Gebiet Nargorny Karabach zu provozieren.“ Fortsetzung auf Seite 6

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Am Donnerstag verbreitete das sowjetische Fernsehen Meldungen, nach denen in Nagorny-Karabach Waffen, Sprengstoff und Munition gefunden wurde. Die überregionalen sowjetischen Zeitungen berichteten, daß die Spannungen nicht nachließen. Beobachter werten das als den Aufbau einer Rechtfertigungsstrategie für ein mögliches härteres Vorgehen von Polizei und Armee, wenn die Streiks in der nächsten Woche fortgesetzt werden sollten. Inzwischen patroulliieren in Nagorny-Karabach paramilitärisch Milizstreifen. Einzig die 'Prawda‘ berichtete, in Eriwan sei nur eine Minderheit gegen die Streiks. Während Armenien in den letzten Tagen durch eine Luftbrücke die Lebensmittelknappheit in Nagorny -Karabach als Folge des Streiks zu lindern versucht hatte, waren die Kontakte zwischen Aserbeidjan und dem autonomen Gebiet schon am Mittwoch abgebrochen worden. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuter erklärte ein Funktionär aus Nagorny-Karabach, man erwarte von Aserbeidjan keine andere Haltung und halte am eigenen Beschluß fest, sich unter dem im Mittelalter geführten Namen „Arzbach“ mit Armenien zu vereinigen. Ob das als Kompromiß eine eigenständige Angliederung Karabachs an die Russische Föderative Sowjetrepublik ausschließt, war nicht zu erfahren.