Prenzlauer-Berg-Tour aus Zufall

■ Ein Buch findet zufällig eine Autorin / Grenzen der Schreibfreiheit

„Und als ich gar nichts wußte, da beschloß ich, eine Prenzlauer-Berg-Tour zu unternehmen, darauf vertrauend, daß der Zufall nur eine besondere Form der Notwendigkeit ist und letztlich auch der Irrweg vom einzelnen Schnappschuß zum allgemeinen Wesen führt“. So umreißt Daniela Dahn, Autorin des Buches „Prenzlauer-Berg-Tour“ ihr Vorgehen gleich im ersten Kapitel. Auch bei der Entstehungsgeschichte dieses Buches hat der Zufall eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Während die Fotos bereits vorhanden waren, fehlte noch der Autor, der den entsprechenden Text liefern sollte. Nach anfänglichen Zögern entschloß sich schließlich Daniela Dahn, die Auftragsarbeit zu übernehmen. Obwohl Berlinerin, fühlte sie sich nicht kompetent genug, diesen Bezirk zu beschreiben. Doch das Experiment, als Außenstehende vorgehen zu müssen und somit zu anderen Ergebnissen zu gelangen als eine Ortsansässige, übte auf sie einen nicht unerheblichen Reiz aus. Als der fertige Text vorlag, stellte sich heraus Zufall oder nicht - daß zwischen den vorliegenden Fotos und dem Geschriebenen keine Übereinstimmung bestand. Ein Nachbessern war nicht mehr drin, da einer der Fotografen tödlich verunglückt war. Aus verlags-ökonomischen Gründen wollte der Mitteldeutsche Verlag jedoch nicht auf die Fotos verzichten und brachte das Buch, wie geplant bebildert, in einer Auflage von 15.000 Exemplaren heraus. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten fanden sich rasch Interessenten, so daß das Buch zwar nicht vergriffen, aber nur noch zufällig erhältlich ist. Es hatte sich herumgesprochen, daß einige brisante Themen hier wenigstens ansatzweise zur Spache kommen.

Eher eigenartig ist die Geschichte über Punks im Prenzlauer Berg. Sie ist das Ergebnis mehrerer Gespräche mit zwei Punks. Der glatte Dialog endet damit, daß einer der Punks der Autorin das Horst-Wessel-Grab zeigt - obwohl er das in Wirklichkeit niemals getan hat. Es bleibt unklar, warum Dahn diesen Bezug zu neonazistischen Tendenzen herstellt, welche Absicht sie damit verfolgt.

Die Arbeit an dem Buch bedeutet für Daniela Dahn einen Berufswechsel - von der Journalistin zur Schriftstellerin. „Im Journalismus“, erklärte sie anläßlich einer Lesung in der Hauptstadt, „ist kein eigener Gedanke einzubringen, in der Literatur ist mehr möglich.“ Dennoch mußte auch sie die Erfahrung machen, daß die Schreibfreiheit nicht unbegrenzt ist. Die Mauer und der weggesprengte Gasometer, der einer der ersten Bürgerinitiativen in der Hauptstadt auf den Plan rief, waren nicht gefragt.

Und im Kapitel „Die Russen kommen“ wurden die Bemerkungen zu Vergewaltigungen gestrichen. Sie sind zwar bekannt, aber immer noch ein Tabu.

Bei ihren Erkundungen in Ost-Berlins schillerndsten Bezirk stieß Dahn vor allem bei öffentlichen Institutionen auf Ablehnung und Mißtrauen. Die Unterlagen zur Frage, ob der Prenzlauer Berg heute noch ein Arbeiterbezirk ist, waren beispielsweise unzugänglich in einem Panzerschrank verwahrt.

Obschon die Interviewten das Manuskript lesen konnten und ihr Einverständnis zum Druck gaben, waren durch die Veröffentlichung entstehende Folgen nicht auszuschließen. Das Kapitel „Die silbergraue Eminenz“ beispielsweise wurde in einer Tageszeitung vorabgedruckt. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, daß der in diesem Kapitel interviewte Zimmermanns-Meister Howe in die Partei eingetreten sei. Im Interview hatte der Zimmermann noch gesagt: „Und wenn ich keiner (Genosse) bin, dann nur deshalb, weil versäumt wurde, sich mit mir zu befassen.“ Durch die Veröffentlichung hatte er erreicht, daß seine bis dahin ahnungslosen Kollegen von seinem Wunsch erfuhren und sich nun für ihn einsetzten. Besondere Wertschätzung erfahren die Punks übrigens in der Westausgabe dieses Buches, das bei Luchterhand unter dem Werbewirksameren Titel „Kunst und Kohle“ mit einer Auflage von 4.000 Exemplaren erschienen ist. Während der Text mit dem der DDR-Ausgabe identisch ist, wurden vorrangig Fotos aus der Punkszene ausgewählt. Zwei Punks zieren denn auch gleich das Titelbild des Luchterhand-Taschenbuches.

M.E. / Ost-Berlin