Trotz des Tiefschlags nicht geschlagen

Auch vor den Toren des demokratischen Parteikonvents ist Jesse Jacksons Rolle das Hauptthema / Derweil bemüht sich am ersten Abend die offizielle Partei als vielgestaltige doch geeinigte Organisation zu präsentieren  ■  Aus Atlanta Stefan Schaaf

Wir sind eine Nation, die Vereinigten Staaten von Amerika. Tusch, Applaus, Jubel, Plakate werden geschwenkt. Die Inszenierung ist gekonnt und genau geplant, eine exakt gezielte Mischung aus Show und Inhalt, von Zirkusatmosphäre und Appell an den „Stolz“ der Delegierten, in einem besonderen Land, in Amerika eben, zu leben. Am ersten Abend des demokratischen Parteitages in Atlanta, versucht die Partei sich, so gut es geht, als vielgestaltige doch geeinte Organisation zu präsentieren.

„Trouble maker“ Jesse Jackson verzichtete nur wenige Stunden vor der Eröffnung des Parteitages auf seine Kandidatur um das Amt des Vizepräsidenten. Eine Gegenkandidatur zu dem von Präsidentschaftsbewerber Michael Dukakis zum Vize erkorenen rechten Senator aus Texas, Lloyd Bentson, wäre einer offenen Rebellion gleichgekommen. Alle Fernsehstationen in den USA übertragen an den vier Abenden des Parteitags live aus Atlanta.

Von der Delegiertenebene in der riesigen Halle aus stellt sich der Demokratenzirkus ganz anders dar, als er im Fernsehen erscheinen mag. Die Stimmung erinnert mehr an ein Sechstage- rennen; kaum jemand hört im allgemeinen Durcheinander auf die Redner, statt dessen schieben sich Delegierte, Presseleute und Sicherheitsbeamte durch die Gänge, geben Interviews und suchen Bekannte. Velma Veloria etwa, eine junge, auf den Philippinen geborene Frau aus einer Gruppe von Jackson-Delegierten aus Seattle, wartet vor allem auf den Auftritt ihres Favoriten. Sie ist enttäuscht über die Nominierung Lloyd Bentsens, sagt sie, aber sie hofft noch auf Zugeständnisse von Dukakis an die Jackson -Unterstützer.

Draußen vor dem eigens umgebauten Basketballstadion der „Atlanta Sparrows“, wo der Parteitag stattfindet, tragen die verschiedensten politischen Grüppchen und Fraktionen ihre Anliegen zu Markte. Die demokratische Partei hat dabei eine genaue Trennungslinie nach links gezogen, symbolisiert durch eine doppelte, von grimmigen Polizisten verstärkte Absperrung zwischen der geduldeten „Protestfläche“ und den Geschäften des offiziellen Parteitags. Dort, auf der Protestfläche, einem Parkplatz, dürfen die „Querulanten“ in der schwülen Julihitze ihren Unmut loswerden. Die Tierversuchsgegner, Marihuana-Freaks, AIDS-Betroffenen und Obdachlosen-Aktivisten, die dort in Erscheinung treten, verstehen sich weniger als farbige Einsprengsel in der gewaltigen Show denn als Säurespritzer auf das künstlich geglättete Profil der Demokraten. Viel Aufmerksamkeit wird ihnen nicht zuteil. Nur am Sonntag, als mehrere hundert maskierte und entschlossene Demonstranten einen geplanten Marsch weißer Rassisten verhinderten und es dabei zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, zogen sie das Interesse der Medien auf sich. Ein anderer Redner, gleichfalls kein Bewunderer oder Unterstützer der Partei, suchte sich am Sonntag sein eigenes Podium, weit weg vom offiziell geduldeten Protestierer-Käfig.

In einer Baptistenkirche im schwarzen Teil Atlantas, nur einen Block von der Grabstätte Dr.Martin Luther Kings entfernt, ging Louis Farrakhan, Führer der schwarzen nationalistischen „Nation of Islam“, mit Jesse Jacksons Bemühungen um die demokratische Präsidentschaftsnominierung ins Gericht. Jackson habe hervorragendes für die Partei geleistet, so Farrakhan vor etwa 2.000 begeisterten Gefolgsleuten, doch übersehen, daß die Demokraten auch mit den von ihm registrierten Wählern nicht gewinnen könnten. „1984 erhielt die Partei 95 Prozent der schwarzen Stimmen und verlor 49 der 50 Staaten.“

Deswegen dürfe man sich als Schwarzer auf diese Partei nicht verlassen. Wer wie Jackson die Interessen der Schwarzen in die demokratische Partei zu integrieren versuche, verhalte sich wie ein hungriger Apportierhund, der trotz seiner Gier den Hasen vor die Füße seines Herrn legt. Während Farrakhans Rede ein Meisterstück subtiler politischer Demagogie war, schwang die unabhängige schwarze Präsidentschaftsbewerberin Lenora Fulani den rhetorischen Knüppel. „Jesse“, so die 38jährige New Yorker Politikerin, die sich bereits erfolglos um das Amt des New Yorker Bürgermeisters und Gouverneurs bemüht hatte, „du hast uns in die falsche Richtung geführt. Deine Energie und Opferbereitschaft war verschwendet. Diese Partei ist es nicht wert, sie ist ein Gift, das unser Volk schon seit langem verdirbt“. Als Jackson seinen Ärger über die Nominierung Lloyd Bentsens unterdrückte, so Fulani, habe er seine „Schwarzheit“ unterdrückt.

Die Jackson-Kampagne hingegen hat auch nach dem Tiefschlag, den die Nominierung des texanischen Senators und 2lfachen Millionärs Bentsen für ihre Ambitionen darstellt, nicht im geringsten die Absicht, sich geschlagen zu geben. Nach Tagen eisigen Klimas zwischen dem Dukakis-Lager und der Jackson -Kampagne sind die beiden Kontrahenten am Montag morgen zu neuen Verhandlungen über eine Kooperation im Herbst zusammengekommen.

Am Nachmittag schickten sie ihre jeweiligen Wahlkampfleiter vor die Presse, um einen vorläufigen Waffenstillstand zu verkünden. Doch die Pressekonferenz ergab, daß die Interpretationen der Übereinkunft noch weit auseinanderklaffen. Was für den Jackson-Mann Ron Brown eine „Integration der Kampagnenstäbe“ war, hieß für den Dukakis -Wahlkampfleiter lediglich, daß Jackson-Mitarbeiter auf freie Posten in der Herbstkampagne bestellt würden. Mehrere Jackson-Delegierte gingen am Montag davon aus, daß das politische Tauziehen um die Richtung der Partei noch nicht beendet sei. Daniel Cantor, Gewerkschaftskoordinator aus Washington D.C., beschrieb Jacksons Absichten mit den Worten: „Er droht ja nicht, aus der Partei auszusteigen, vielmehr droht er, drin zu bleiben“.

Für einen Delegierten aus Mississippi war die Bentsen -Nominierung eine Lektion gewesen: „Wir müssen so stark werden, daß die Partei einfach nicht mehr ohne uns kann“. Dukakis betonte auf einer Pressekonferenz, es habe keinen „Deal“ gegeben, doch werden angeblich bereits mehrere Forderungen Jacksons in Erwägung gezogen.

Danach sollen Jackson-Mitarbeiter in den Parteivorstand aufgenommen werden, Jackson soll eine prominente Rolle in der Wahlkampagne im Herbst übernehmen und über eine Reihe von bezahlten Mitarbeitern verfügen können, darüber hinaus soll ihm eine wichtige Rolle und ein Mitspracherecht in Dukakis‘ Übergangsteam eingeräumt werden - falls Dukakis im November ins Weiße Haus gewählt wird.