„Männerkumpanei an der Uni ist raffinierter“

Barbara Riedmüller, seit Juni Vizepräsidentin der FU-Berlin, zum Thema sexuelle Belästigung an den Universitäten  ■ I N T E R V I E W

taz: Frau Riedmüller, ehrenwerte Professoren als Männer, die Studentinnen belästigen und sogar massiv bedrängen. Überrascht Sie das eigentlich?

Barbara Riedmüller: Nein, man wundert sich zwar darüber, weil man glaubt, die Universität sei ein Ort, wo sexuelle Belästigung nicht stattfindet. Aber dieses Vorurteil muß man ebenso verwerfen wie jenes, daß Akademiker ihre Frauen nicht schlagen. Man muß die Universität als normalen Betrieb betrachten, in dem sexuelle Belästigung ebenso stattfindet wie in jedem größeren Unternehmen.

Dennoch ist dieses Thema gerade an den Universitäten immer noch ein Tabu, obwohl dort Frauen betroffen sind, die sich eher zu wehren wissen als andere.

Sicher könnte man denken, daß an den Universitäten solche Fälle eher aufgeklärt werden als in anderen Betrieben. Daß das bisher nicht passiert ist, hat vielleicht damit zu tun, daß die Unviersität bisher kein Ort für Frauen war. Frauen waren dort sowohl im Mittelbau als auch als Professorinnen immer eine Minderheit. Und auch in den Bereichen, wo die Studentinnen zahlreich waren, haben Frauen das nicht als ihren Ort definiert. Ich will nicht sagen, daß sie sexuelle Belästigung als normal empfunden haben, wie man vieles in einer fremden Kultur als normal empfindet. Aber dieses Gefühl, sich nicht heimisch zu fühlen, hat sicher etwas damit zu tun, daß dieses Tabu so lange aufrechterhalten werden konnte.

Ist es nicht gerade in der Universität schwieriger, Fälle von sexueller Belästigung aufzudecken, weil die Männerkumpanei, das Standesdenken und das Prestige der Universität eine Aufklärung verhindern?

Ja, sicher. Männerkumpanei gibt es auch in anderen Bereichen. Aber das Spezifische an der universitären Männerkumpanei sind die raffinierteren Mittel der Männer, so etwas zuzudecken. Die akademische Fähigkeit des Argumentierens spielt da als Schutz eine große Rolle. Viele Männer und Frauen, mit denen ich darüber geredet habe, haben das Problem erst einmal heruntergespielt und geglaubt: bei uns ist es sicher nicht so schlimmm wie anderswo. Wenn solche Fälle dann tatsächlich bekanntwerden, hängt man sie gern etwas tiefer, nicht weil man sie rechtfertigen, sondern weil man sie nach außen verdecken will. Denn das schadet dem Ansehen der Unviersität und der Wissenschaft ganz erheblich.

Studentinnen, die sexuelle Übergriffe oder Diffamierungen von Professoren anzeigen, müssen mit unmittelbaren Nachteilen im Studium und - wie der jüngste Berliner Fall zeigt - sogar mit juristischen Konsequenzen rechnen. Was können Frauen tun, was müßte von Seiten der Unviersitätsleitung zu ihrer Unterstützung getan werden?

Das Charakteristische ist, daß es an der Universität ja fast nie die Kolleginnen sind, die belästigt werden, sondern meist die abhängigen Frauen, die Studentinnen. Ich sehe auch die Gefahr, daß man ein Klima schafft, in dem sich die Männer in Zukunft ihre Opfer noch präziser aussuchen. Wichtig wäre als erstes sicherlich, überhaupt eine öffentliche Diskussion über dieses Problem zu führen. Ich habe z.B. in den letzten Wochen gemerkt, daß in meinem Kollegenkreis sehr aufmerksam verfolgt wurde, was ich als Frau zu dem Thema sage. Konkret denke ich, daß wir uns Gedanken über ein Verfahren machen müssen, wie sich eine Frau wehren kann, ohne zum Staatsanwalt zu rennen. Da ist einerseits die Personalvertretung angesprochen, die hätte sich da auch etwas einfallen lassen können, andererseits aber auch die Unviersitätsleitung. Ich schlage konkret eine Art Beschwerdeausschuß vor, dem die Frauen den Fall vortragen können, ohne gleich in den administrativen Ablauf zu kommen.

Sexuelle Belästigungen sind juristisch schwer nachzuweisen, weil es in der Regel keine Zeugen gibt. Warum nehmen nicht einfach die Kollegen einen Professor ins Gebet, gegen den sich Anschuldigungen häufen?

Damit so etwas möglich ist, schlage ich ja einen solchen Ausschuß vor, um gerade in den vielen Fälle, wo man keine juristischen oder beamtenrechtlichen Instrumente hat, den entsprechenden Kollegen in diesen Ausschuß zu bitten und zu fragen: Was machst du da eigentlich? Vielleicht könnte man das als informelles Kontrollsystem aufbauen, denn viele Leute gehen eben solange bei rot über die Straße, wie man sie dabei nicht erwischt. Ich setze Hoffnungen auf die hauptamtliche Frauenbeauftragte, die hoffentlich im Winter hier an der Universität ihre Arbeit aufnehmen wird. Ich finde es aber auch wichtig, daß nicht ein Klima geschaffen wird, in dem ein Mann gleich als sexueller Belästiger dasteht, weil er eine Frau einmal scharf angeguckt hat. Von vielen Kolleginnen und Kollegen höre ich nämlich die Angst, daß ein völlig asexuelles Klima geschaffen werden könnte.

Das Gespräch führte Vera Gaserow