„Seiten kurz und Scheitel“

■ Heute noch verpaßt Friseur Wohelat im Salon-Interieur von 1928

Haarscharf wäre es daneben gegangen, denn um ein Haar hätte uns der Friseur Wohelat vor die Tür gesetzt. „Was hab‘ ich davon. Ich sag nix, bis ich Zasta sehe.“ Aber allzu haarsträubend fand er unseren Besuch dann wohl doch nicht, denn er weiß, sein Laden ist einzigartig. Wer sich heute das Haar von ihm stutzen läßt, ist noch von demselben Mobiliar umgeben, in dem sein Onkel 1928 die Kundschaft bedient hat. Die nämlich wird auf den mit rotem Linol gepolsterten Stühlen plaziert - vor sich die wuchtigen Wasch- und Frisiertoiletten mit Marmoraufsatz und hohen Spiegeln in der Mitte. Noch immer glänzen die Armaturen und die Porzellanknöpfe für warm und kalt, und auch die längst ausgedienten Brennscherenerhitzer fürs Ondulieren sind erhalten. Wie zum Stilleben aufgebaut das Handwerkszeug: alte Pinsel, vergriffene Scheren und Rasierutensilien, verschiedene Wässerchen in silbrig bauchigen Flakons. Herr Wohelat ist schon lange ein „reiner Herrenfriseur“, doch abgetrennt mit rotem Vorhang steht noch die Damenabteilung. Sie wird bald ins Museum für Verkehr und Technik wandern, und im Frühjahr wird Herr Wohelat die Gesamteinrichtung abgeben und seine Frisierkünste einstellen.

Schon als kleines Kind ist er im Laden des Onkels 'rumgekrabbelt, 1943 hat er sich dem Geschäft mit Haut und Haaren verschrieben, und seit 1965 führt er den Salon in „eigener Regie“. Mit langgezogenem „Ja, also früüüher!“ beginnt er von alten Zeiten zu schwärmen. „Das war 'ne großartige Gegend hier am Nollendorfplatz, mit dem Theater und dem Kino 'Mozartsaal‘ um die Ecke. Schauspieler und Künstler kamen, ich war mit dem Maler Max Pechstein befreundet.“ Es folgt seine Schimpftirade auf die jungen Männer, die „nicht mehr alle zwei Wochen kommen und völlig verwahrlosen“. Die Reklame aus den 50er Jahren entspricht seinem Geschmack: korrekte Herrenportraits, bestätigt von einer lächelnden Dame: „Schönster Schmuck jeder Frau: Ein gepflegter Mann.“ (na und umgekehrt erst! sezza) Mit skeptischem Blick mustert er unsere Köpfe. „Wohl selber 'rumgeschnibbelt“, und er seufzt, „lauter Treppen. Mensch wenn ick als Lehrling... da hätte ich 'ne Backpfeife gekriegt.“ Voller Stolz erzählt er von seinem Können. „So geht bei mir keiner 'raus. Ich bin ja noch ein Handwerker, kann die Schnitte der alten Fasson, Hitler, Militärschnitt, Perücken knüpfen, Bart ausziehen.“ Doch die Zeiten des Barbiers sind ebenso vorbei wie das frühere Hauptgeschäft, das Ondulieren, vornehmer gesagt, friser, das Haar kräuseln, das dem Beruf den Namen gab.

Die Präservative, die jeden Herren mit „London“ an seine Sicherheit erinnern, die gab es schon immer bei ihm, „längst vor dem Aids-Quatsch“.

Seit Jahrzehnten warten die Mittel für angehende Glatzköpfe, Rasiercremes und blonder forte auf Kundschaft. Der Verkauf ist gleich Null. Mit der Chemie ist alles illusorisch geworden.“

Auf einem Bretterverschlag haben sich Plakate aus Jahrzehnten angesammelt und durchbrechen das Interieur von 1928, eine griechische Statue ihn schwarz-weiß, Werbung für die Seychellen, Mona Lisa, umgeben von poppigen Damen und eine Radlerin in knappen Shorts, die „follow me“ haucht. Endlich Kundschaft, das Gespräch ist aufs Nötigste beschränkt. „Nacken, Seite kurz und Scheitel“, verständigen sich Kunde und Friseur über den Spiegelblick. Mit ausgeprägten Mienenspiel macht sich Herr Wohelat ans Werk, blitzschnell tänzelt die Schere in seinen hageren Händen und klappert dramatisch zwischendurch im Luftleeren. Ein paar Stammkunden hat er noch, „doch die mittleren Jahrgänge sterben ja nach und nach weg“. Mit Seitenhieben auf die Konkurrenz erstickte er seine Traurigkeit. „Oder es kommen ein paar Junge, die ansonsten geneppt werden.“

Petra Schrott