Studierende Reservisten auf dem Vormarsch

Von Konstanz bis Kiel haben sich mittlerweile 40 Hochschulgruppen der „Studierenden Reservisten“ etabliert / Auch an der Uni Freiburg machen sich die Bundeswehr-Protagonisten für eine Militarisierung der Gesellschaft stark, allerdings nicht ohne Gegenwehr der StudentInnen  ■  Aus Freiburg Andrea Hösch

Es ist verdächtig still geworden in und um bundesdeutsche Hochschulen. In Seminaren und Bibliotheken wird gebüffelt, abends oft genug gejobt, das Studium immer schneller durchgezogen. Je stärker der BaföG- und Examensdruck, desto weniger Zeit bleibt für Demonstrationen, Vollversammlungen und politisches Engagement überhaupt. Sollte man/frau meinen.

Doch trügt der Eindruck: Konservativ-rechte Kräfte haben es in jüngster Zeit immer besser verstanden, das politische Vakuum an der Alma Mater für ihre Zwecke zu nutzen und ihre Reihen zu verstärken. Umso massiver trauen sich solche Gruppierungen heute wieder in die Öffentlichkeit, seien es nun die Burschenschaften in vollem Wichs, der Ring freiheitlicher Studenten (RCDS) mit einem Sitz im Kölner Studentenparlament, die studierenden Reservisten oder die NPD, die versucht, an den Hochschulen Fuß zu fassen.

Auch an Freiburg geht dieser Trend nicht vorbei. In den Räumen der Universität tagte dort vorletzte Woche der „Arbeitskreis studierender Reservisten der Universität Freiburg“ - unter Polizeischutz und massivem Protest von rund 200 DemonstrantInnen, die die Versammlung sprengen wollten. Auf Anordnung des Kanzlers der Hochschule, Friedrich-Wilhelm Siburg, knüppelten dann jedoch die behelmten Polizeibeamten „wahllos auf Studierende ein“. Etliche StudentInnen erlitten Platzwunden, eine Frau mußte mit dem Verdacht auf Gehirnerschütterung in der Uni-Klinik behandelt werden.

Mit Fußtritten gegen Sprechchöre

Was war passiert? Zum zweiten Mal hatte der seit Sommer '85 bestehende „Arbeitskreis studierender Reservisten“ in einem Hörsaal zu einer Vortragsveranstaltung über die Sicherheits und Verteidigungspolitik geladen, die nur unter massivem Polizeieinsatz stattfinden konnte. Draußen vor der Tür hatten sich rund 200 GegendemonstrantInnen versammelt, die mit Trillerpfeifen und Sprechchören versuchten, die Veranstaltung zu verhindern. Hinein kamen nur Auserwählte, anfangs auch ein paar wenige „Unbekannte“, die dem Veranstalter jedoch Matrikelnummer und Personalien angeben mußten (um eventuelle internen Störer sofort identifizieren zu können). Später durften im Schutz der Polizeiketten nur noch Mitglieder und Ja-zur-Bundeswehr-Sympathisanten passieren.

Obwohl selbst die Veranstalter von einem recht ungestörten Verlauf im Innern berichteten - etwa 50 bis 60 Personen nahmen daran teil -, wurde es Kanzler Siburg irgendwann zu laut: Er ordnete kurzerhand die Räumung des Uni-Flurs an. Der Germanistikprofessor Uwe Pörksen, der in diesem Moment gerade Einlaß begehrte, schilderte die Szene als Augenzeuge: „Zwei wurden über den Boden geschleift, ein Polizist hat sogar mit Fußtritten nachgeholfen.“ Indem die Uni-Leitung Gruppierungen unterstützt, „die die Militarisierung der Gesellschaft propagieren und vehement demagogisch vorantreiben“, argumentiert der Freiburger Asta, sei ihr politischer Standpunkt eindeutig. Die StudentInnenvertretung reagierte prompt mit einer Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Einsatzleiter des Polizeizugs und mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Herren Siburg und Meisik. Letzterer ist der persönliche Referent des Rektors der Universität. Während der Randale auf dem Flur wetterte drinnen derweil der Referent des Abends, Professor Steinkamm, Präsident des Verbandes der Reservisten der deutschen Bundeswehr, nach den Schilderungen eines teilnehmenden Juso-Mitglieds gegen den bösen Feind im Osten. Die Jahre des Kalten Krieges heraufbeschwörend beharrte der Redner auf der unverminderten Invasionsfähigkeit der Sowjetunion, die stets wachsam sei und nur darauf warte, im geeigneten Moment zuschlagen zu können - nämlich dann, wenn der Westen abgerüstet habe, also schwach sei. Abrüstungsbefürworter seien gleichzusetzen mit „Schildbürgern, die ihre Feuerwehr abschaffen, aber weiterhin mit den Brandstiftern leben“. Und doch - welch Wunder - scheint der Referent schon mal etwas von Glasnost gehört zu haben. Daß und wie er die Reformen in der UdSSR in Verbindung bringt mit Hitlers „Mein Kampf“, entblößt vollends sein reaktionäres Gedankengut: Man habe den Deutschen schon einmal vorgeworfen, ein Buch nicht gelesen zu haben, Gorbatschows „Perestroika“ habe er deshalb sehr genau gelesen. Und im übrigen seien die Zeiten vorbei, in denen mit Tomaten nach ihm geworfen worden sei - Freiburg bilde leider noch eine Ausnahme, wohl aber nicht mehr lange. Wahrscheinlicher ist vielmehr - das weiß auch Kanzler Siburg -, daß es weitere Ausschreitungen geben wird, spätestens bei der nächsten Versammlung auf dem Uni-Gelände.

Rekrutierungsbüros für die Bundeswehr?

Von Konstanz bis Kiel haben sich die Reservisten an bundesdeutschen Hochschulen stetig etabliert. Insgesamt gibt es inzwischen über 40 anerkannte Uni-Gruppen. Wie das Freiburger Mitglied Andreas Estenfeld behauptete, verstünden sich die Studierenden keinesfalls „als Rekrutierungsbüro der Bundeswehr“ (als Alibi müssen ein paar wenige weibliche Mitglieder herhalten). Doch deckt sich diese Entwicklung genau mit der aktuellen Bundeswehrstrategie, die - aufgrund des personellen Defizits - die qualitative und quantitative Ausnutzung des Reservistenpotentials vorantreibt (Reservistenkonzept '90). Dazu meint ein Öffentlichkeitsarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums: „Wenn Sie wollen, sind das Bürgerinitiativen, die ihre eigene Marschrichtung festlegen.“ Daß die studierenden Bundeswehr-Protagonisten vor allem bei den Burschenschaften offene Türen einrennen, wird gar nicht erst abgestritten. 80Mitglieder zählt die Freiburger Gruppe inzwischen, die auch mal gemeinsam zu Truppenbesuchen und Schießübungen aufbricht.

Dennoch überlegt Germanistikprof Pörksen, ob es nicht politisch sinnvoller wäre, eine solche Gruppe zu ignorieren, also nicht ernstzunehmen, anstatt ihnen durch die Proteste Publizität zu verschaffen. Anders gefragt: Wäre es nicht viel wichtiger, eine gesellschaftstheoretisch-analytische Aufarbeitung dieses Phänomens der „neuen Rechten“ zu leisten anstelle der Faschistenrufe, die mehr oder weniger aus dem hohlen Bauch kommen?

Ein erster Ansatz in dieser Richtung läßt sich in einem Text der Freiburger Autonomen entdecken: „Der Reserviertheit und Feindseligkeit gegenüber den Militärs (...) soll agitatorisch-ideologisch und offensiv begegnet werden. Freiwillige Militärübungen zu Zwecken des geselligen, kameradschaftlichen Beisammenseins sollen den Reservisten eine wirkliche Männer-Heimat bieten (...) Akzeptanz und tatkräftige Unterstützung bei der Militarisierung weiterer gesellschaftlicher Bereiche, das Prinzip des Befehlens und Gehorchens, und die aktive Wehrbereitschaft (...) der gesamten Gesellschaft als ein positiver Wert für den allein seligmachenden Kapitalismus sind ihre wahren Ziele (...).“ Und im Blick auf das universitäre Agitationsfeld heißt es weiter: „Diese studierenden Reservisten sollen auch dafür sorgen, das wissenschaftliche Potential, wie sie es nennen, diesen Zielen und Zwecken unterzuordnen und dienstbar zu machen.“

„Drei Feinde hat der Reservist“, wurde im abgeriegelten Freiburger Hörsaal verkündet, „die Frau, den Geldbeutel und den Arbeitgeber.“ In der Schwarzwaldmetropole, so hat sich gezeigt, gibt es noch mehr.