Anti-Apartheid-betr.: "Zertsritten, aber solidarisch", taz vom 13.7.88

betr.: „Zerstritten, aber solidarisch“, taz vom 13.7.88

(...) Die von Heike Becker aufgeworfene Fragestellung: „Warum ist die Südafrika-Solidarität so schwierig?“ (wo bleibt Namibia?) scheint uns nur unzureichend beantwortet. Ihre Schilderung von Differenzen innerhalb der Solidaritätsbewegung können jedoch allein ihre relativ geringe Stärke nicht erklären. Um diese Frage zufriedenstellend zu beantworten, muß man/frau auch auf die historischen Bedingungen von Solidaritätsarbeit in der Bundesrepublik, die Geschichte der Bundesrepublik sowie auf die internationale Bewegung gegen Aparheid eingehen. Folgende Faktoren seien hierfür stichwortartig genannt:

das ungenügend aufgearbeitete Erbe des deutschen Faschismus (mangelnde Entnazifizierung) und seine Wirkung auf die politische Kultur der Bundesrepublik; die Konzentration der demokratischen Bewegung in den fünfziger Jahren auf den Kampf gegen die Wiederbewaffnung und die atomare Bewaffnung; materielle Sorgen (Not) verstellten den Blick für übergreifende Probleme; die anti-koloniale Bewegung konzentrierte sich auf die Kolonialländer bzw. Mutterländer der Kolonien; erst in den sechziger Jahren entwickelte sich in der Bundesrepbulik ein „Dritte-Welt-Bewußtsein“.

Sonderfall südliches Afrika: Die bundesdeutsche Solidarität mit den Völkern des südlichen Afrika hat wesentlich andere Bedingungen als die Solidaritätsbewegung zum Beispiel mit Chile oder Nicaragua. Aufgrund der mannigfaltigen wirtschaftlichen, militärisch-nuklearen, kulturellen und politischen Beziehungen der Bundesrepublik zum Apartheidsstaat hatte und hat die Anti-Apartheid-Bewegung Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit gegen eine ausgeprägt Pretoria-freundliche Regierungspolitik zu leisten.

Eine Änderung dieser Ausgangsposition erfolgte erst als nach der Wende 1982 große, in die Opposition gedrängte gesellschaftliche Kräfte wie die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften eine aktive Solidaritätsarbeit zum südlichen Afrika entwickelten. Die Grünen, die Friedens- und Ökologiebewegung nahmen sich der Apartheidproblematik an. Dies alles geschah vor dem Hintergrund einer sich dramatisch zuspitzenden Situation in Südafrika und Namibia. Das veränderte Klima in der Bundesrepublik ist für uns kein Anlaß zu „Befürchtungen“, wir „könnten von der 'realen‘ Politik überrollt werden“. Im Gegenteil, wir sehen in der Verbreiterung einen Fortschritt, der der Sache dienlich ist. Zum veränderten Klima in der Bundesrepublik und der Rolle der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) hat sicherlich beigetragen, daß die AAB schon traditionell den ANC als „führende Kraft“ des südafrikanischen Widerstands angesehen hat, eine Rolle, die der ANC aufgrund seines Handelns und seiner Programmatik spielt. Heute ist weltweit unumstritten, daß es ohne die Beteiligung des ANC keine Lösung der Apartheidfrage geben wird. Nahezu alle Massenorganisationen des Widerstands in Südafrika haben die Freiheitscharta, das Grundsatzprogramm des ANC oder deren Grundzüge als politisches Dokument angenommen. Die Charakterisierung des ANC als „führende Kraft“ wird von Heike Becker offensichtlich mit einem „Alleinvertretungsanspruch“ verwechselt. Selbstverständlich sieht die AAB, daß es neben dem ANC andere Anti-Apartheid-Organisationen wie zum Beispiel die AZAPO, das National Forum oder die Cape-Action -League in Südafrika gibt. (...)

Differenzen in der Einschätzung der südafrikanischen und/oder namibischen Opposition dürfen unserer Meinung nach jedoch nicht den Blick für wichtige Aufgaben der Solidaritätsbewegung in der Bundesrepublik verstellen, die Kollaboration mit dem Apartheidstaat aufzudecken und zu beenden. Die Unterbrechung jeglicher bundesdeutscher Unterstützung für das Apartheidregime ist nur möglich, wenn sich der Bewegung gegen Apartheid wesentlich mehr Menschen anschließen als bisher.

Bernd Schulte, AAB, Blücherstr. 14, 5300 Bonn 1, Tel.: 0228/211355, BfG/Bonn Kto.-Nr. 1019894500, PGiroA Köln, Konto-Nr. 12979-501.