Potsdamer Erklärung zur Jahrestagung des IWF

In der DDR rufen 150 Teilnehmer eines Seminars zu Aktionstagen auf / Schulden der „Dritte-Welt„-Länder sollen gestrichen werden  ■ D O K U M E N T A T I O N

Zu der im September stattfindenden Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in West -Berlin haben sich jetzt auch aus der DDR sechs Gegner der Tagung öffentlich zu Wort gemeldet. In einer von 150 DDR -Bürgern verabschiedeten „Potsdamer Erklärung“ werden die Praktiken von IWF und Weltbank scharf verurteilt. Die Unterzeichner rufen dazu auf, vom 23. bis 30.September an „Aktionstagen“ in der DDR teilzunehmen. Die taz dokumentiert die Erklärung.

Im September 1988 wird die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in West-Berlin stattfinden. Aus diesem Anlaß tagte vom 3. bis 5.Juni 1988 in Potsdam ein DDR-weites Seminar, auf dem wir Probleme des gegenwärtigen Weltwirtschaftssystems diskutierten.

Dabei wurde u.a. hervorgehoben, daß die Schulden der „Dritten Welt“ sich derzeit auf mehr als eine Billion US -Dollar belaufen. Es steht fest, daß diese Schulden, trotz positiver Handelsbilanz, nicht rückzahlbar sind und überdies die Exporterlöse nicht einmal für die Zinszahlungen ausreichen. Aber gerade diese Zinslast ist es, die jene Länder in ständiger Abhängigkeit hält und immer größere Teile ihrer Bevölkerung in wachsende Armut drängt. Eine Ursache dafür liegt, wie Erich Honecker im März 1986 gegenüber der mexikanischen Tageszeitung 'Excelsior‘ unterstrich, „in der untergeordneten, ungleichen Stellung der Entwicklungsländer in der kapitalistischen Weltwirtschaft von heute, in der neokolonialistischen Ausbeutung durch transnationale Monopole“.

Das Krisenmanagement von IWF, Weltbank und Finanzexperten des von ihnen beauftragten „Pariser Clubs“ mit Umschuldungen, Neukrediten und Einzelfallbehandlung der Schuldnerländer festigt diese Abhängigkeit und verschärft die Krise.

Der IWF und die Weltbank sind Instrumente des internationalen Finanzkapitals, Mittel zur Aufrechterhaltung der mörderischen Strukturen der kapitalistischen Weltwirtschaft. Die Folgen sind bekannt: Hunderte Millionen Hungertote, soziale und ökologische Verwüstungen nie gekannten Ausmaßes und die sich aus all dem ergebenden, bis ins Unermeßliche gehenden Flüchtlingsströme.

Die jüngsten Entwicklungen in Jugoslawien, Polen, Ungarn und Rumänien verdeutlichen, daß auch realsozialistische Länder durch ihre unbewältigten wirtschaftlichen Probleme in den Sog von Entwicklungen auf dem internationalen Kapital und Geldmarkt geraten. Der direkte und indirekte Druck von IWF, Weltbank und großen Privatbanken ruft auch in solchen Ländern bevölkerungsfeindliche Maßnahmen auf den Plan.

Wir sind davon überzeugt, daß jetzt alle progressiven und demokratischen Kräfte gemeinsam in die Verantwortung gerufen sind. Wir unterstützen deshalb die „Fuldaer Erklärung“ zur IWF/Weltbank-Kampagne 1988, die auf dem 11.Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) vom 28. bis 31.Mai verabschiedet wurde. Wir unterstützen insbesondere die in dieser Erklärung erwähnte „Forderung nach Streichung der Schulden, die von der Bevölkerung in der „Dritten Welt“ erhoben wird. Die Bildung eines Schuldnerkartells kann ein erster Schritt sein, um dem Gläubigerkartell eine Kraft entgegenzustellen. Deshalb fordern wir von der Regierung der DDR, daß sie sich auf die Maxime internationaler Solidarität aus sozialistischer Verantwortung besinnt und die Praktiken dieser Mordmaschine anprangert.

Wir erwarten, daß den Teilnehmern der Jahrestagung von IWF und Weltbank im September 1988 keine Unterstützung gewährt wird. Wir fordern alle politisch Verantwortlichen, die gesellschaftlichen Kräfte und die Kirchen in der DDR auf, sich mit dem durch die rücksichtslosen Maßnahmen unter anderem von IWF und Weltbank in Armut gestürzten Teil der Weltbevölkerung zu solidarisieren.

Potsdam, den 5.Juni 1988

Die Teilnehmer des Seminars