Philatelistisches für die Agrarbohemia

■ In Worpswede wurden gestern 27 Entwürfe zur Gestaltung von Postwertzeichen auf Sonderbriefmarken Tauglichkeit geprüft: Es tagte der Kunstbeirat, 12 Herren, keine Frau, mit innigen Beziehungen zur Briefmarke

Worpswede ist nicht einfach ein schönes Kuhdorf im Bremer Umland, es ist ein dicker bürgerseeliger Kunstmythos, Symbol für schöndeutsche Agrarbohemia, randvoll mit Ölbildern, Bodenständigkeit und dunklem Moor. Der rechte Fleck für die Sehnsucht in die restlos heile Welt des Irgendwie-Anderen. Der Stoff, aus dem bundespostdeutsche Sondermarken gemacht werden.

Wer gestern nach Worpswede kam, fand einen Aktiv -Frischmarkt mit niedlichem Kundenparkplatz und eine Menge Leute, die genauso wenig wissen, wo das

Rathaus ist, wie man selbst. Manche schütteln potzstumm den Kopf und sagen kein Wort zur höflichen Nachfrage. So habe ich mir norddeutsche Sommerfrischler schon immer vorgestellt.

Auch im Rathaus befand sich gestern eine Sorte Mensch, die mir seit früher Jugend suspekt ist: Anzug-Herren von der Post, aus dem Bundestag oder mit sonstwie innigen Beziehungen zu Briefmarken. Seit Mittwoch - so die Pressemitteilung - tagten da „12 hervorragende Fachleute auf dem Gebiet der grafischen Gestaltung des kleinen Kunstwerks Brief

marke“, um die zweite wichtige Entscheidung des Jahres 89 zu treffen (die erste fiel woanders und hatte 15 Post -Sondermarken zur Folge). Als Mitglieder des Kunstbeirates für die Gestaltung von Postwertzeichen (1954 gemeinsam mit dem für Themenauswahl zuständigen Programmbeirat ins Leben gerufen) dürfen sie dem Herrn Postminister in den nächsten Tagen eine Empfehlung zukommen lassen, welche der 150 bei ihnen eingegangenen Entwürfe für neun 89er Sondermarken sie nun für ganz besonders gelungen halten. Dar

unter immerhin 27 Entwürfe der für den 13.7.89 geplanten „100-Jahre-Künstlerdorf-Worpswede„-Marke. Ein 60-Pf-Wert, weil das mythenschwere Worpswede-Motiv sicherlich prächtig urlaubsgrüßende Postkarten zu zieren versteht.

Aber trotz eigens anberaumter Pressekonferenz wollte der Zwölferrat (sechs seriösen Vertreter des Fachbereichs Grafik -Design, zwei Herren vom Bundestag und vier Solisten vom Bundespostministerium, der philatelistischen Fachpresse, dem Bund deutscher Philatelisten und dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost - keine Frau, die einzige in Frage kommende „war zu wichtig für die Arbeit im Gremium, die soll lieber arbeiten“, so der Gremiumsvorsitzende Kranz) interessierten Pressemenschen die Wahl der Jury nun partout nicht verraten. Das „unabhängige Gremium“ wollte eventuelle Unstimmigkeiten mit dem letztendlich weisungsbefugten Postminister wohl nicht schon im Vorfeld publik machen. „Die haben uns schon mal alles umgeworfen und eigene Leute geschickt“, verkündet Prof. Kurt Kranz, Bauhäusler und Grafikfachmann, wohlgelaunt. Und nur Rüdiger Bock, Leiter des Referats für Postwertzeichen ergänzt harmonisch: „Postminister haben immer gut daran getan, sich an das Gremium zu halten. Wenn sie sich nämlich anders entscheiden, müssen sie das schließlich ganz allein verantworten.“

Da hingen sie nun schön be

leuchtet an der Rathaus Wand, die 27 Entwürfe acht bundesdeutscher Grafiker (darunter das Ehepaar Haase und Felix Müller aus Bremen) und Radio Bremen stellte der Reihe nach wichtige Gesichter vors schöne Ensemble. Reinhard Metz, Bremer CDU Abgeordneter im Bundestag, gibt kameragewöhnt jovial seinen Favoriten zum besten, ein idyllisch buntes Motiv Sommerabend auf dem Vogler-Hof. „Das können Sie doch gar nicht nehmen“, stichelt der kultivierte RB-Realisator, „das war doch ein Kommunist.“ Was Hans-Jürgen Wischnewski, den zweiten Vertreter des Bundestages im Kunstbeirat, rotbackig-fröhlich verkünden läßt, die Bundesregierung habe selbst eine Briefmarke für einen Kommunisten vorgeschlagen, für Erwin Kisch. Die Bundesregierung sei nämlich viel beweglicher als die meisten dächten. Und da kommt's ganz wunderbar aus dem Hintergrund: „Vielleicht hat es sich bis zu denen auch nur noch nicht rumgesprochen, daß Kisch ein Kommunist ist.“

Dann wird noch der Worpsweder Bürgermeister vor die Kamera gezerrt, darf sein Lieblingsbild allen Buten-und-Binnen -Zuschauern zeigen und etwas von Stadtwerbung und 100-Jahr -Fest erzählen. Das macht er schön. Und ich leide etwas mit, wenn es dann obligatorisch heißt: „Und jetzt das Ganze noch mal in echt.“ Bild-und Tontechnik brauchen nämlich einen Probedurchlauf. Herr Bürgermeister erzählt brav alles noch einmal.

Petra Höfer