Frauen-Behörde überholt grüne Fraktion

■ Die Landesfrauenbeauftragte Ursula Kerstein befürwortet im Gegensatz zu vielen Grünen das radikale grüne Quotierungsgesetz / „Eine Zeit lang müssen Männer ausgeblendet werden“ / Jahresbericht vorgelegt / Stimmrecht im Senat abgelehnt

Mehr als sechs Jahre ist die Bremer Frauenbeauftragte Ursula Kerstein im anti-patriarchalen Amt. Und wird zunehmend ungeduldig: Radikaler als so manches

grüne Fraktionsmitglied will die Bremer Frauenbeauftragte den Bremerinnen deshalb bald zu einem Job im öffentlichen Dienst verhelfen. „Für eine Zeit lang

müssen die Männer ausgeblendet werden“, äußerte sie sich gestern zustimmend zu dem umstrittenen Gesetzentwurf der grünen Juristin Heike Dieball. Die Feministin schlägt darin vor, 20 Jahre lang nur Frauen in unterrepräsentierten Bereichen des Bremer Staatsdienstes zuzulassen, um die stillschweigende Quotierung zugunsten männlicher Bewerber zu beenden und um die Vorherrschaft der Männer in den höheren Diensträngen endlich effizient zu brechen (vgl taz vom 21.6.88).

Immer unzufriedener ist Ursula Kerstein dagegen mit der von ihrer Zentralstelle initiierten „Richtlinie zur Förderung der Frauen“. Diese Richtlinie, seit Oktober 1984 in Kraft, habe „so gut wie keine Verbesserungen bewirkt“. Die Richtlinie will Frauen nur „bei gleicher Qualifikation“ bevorzugt wissen. Diese Formulierung hielt das berühmte Hintertor für die angeblich immer etwas besser qualifizierten männlichen Mitbewerber stets sperrangelweit offen. Die Gleichstellungsstelle will deshalb ihre „Richtlinie“ durch ein konsequenter formuliertes Landesgesetz ersetzen, Formulierungen stehen derzeit allerdings noch nicht fest.

Heike Dieballs Entwurf für ein

solches Landesgesetz wertete Ursula Kerstein auf ihrer gestrigen Pressekonferenz als „vernünftig“. Dieser grün -feministische Entwurf war in der grünen Bürgerschaftsfraktion auf viel weniger Gegenliebe gestoßen. Vorwürfe wie „umgekehrter Sexismus, falsche Stoßrichtung der Frauenpolitik“ waren von grünen Frauen laut geworden. Barbara Loer, Mitarbeiterin der Gleichstellungsstelle, ist da anderer Meinung. Die „Richtlinie“ habe bezeichnenderweise nur in dem einen Bereich Erfolge erzielt, in dem „starre Quoten“ festgeschrieben seien, dem Ausbildungssektor des öffentlichen Dienstes. Unter „2.“ heißt es in der Richtlinie kategorisch: „Bei Auszubildenden sind männliche und weibliche Bewerber zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.“ Von 1984 bis 1987 schnellte daraufhin der Anteil der weiblichen Azubis in Männer-Berufen wie GärtnerIn, PolizistIn oder ElektrikerIn von 7 auf 25 Prozent empor.

Doch nicht nur um Quoten - „so leid ich die Diskussion inzwischen manchmal bin“ (Kerstein) - ging es gestern in der Gleichstellungsstelle. Die Frauenbeauftragte hatte eingeladen, um ihren Jahresbericht anno 1987 der

Presse vorzustellen. Dem Parlament soll dieser Bericht von Bürgermeister Wedemeier höchstselbst präsentiert werden. Allerdings hatten im vergangenen Jahr die Abgeordneten dieses Vorhaben wegen vermeintlich Wichtigerem solange verschoben, bis der Bericht sang-und klanglos in den Ablagen und Papierkörben der Abgeordneten verschwunden war. „Wir fanden das nicht so toll“, ließ sich Ursula Kerstein eine verhaltene Kritik an den ParlamentarierInnen entlocken.

Seit Januar 1987 - eine Errungenschaft in ihrem fünften Amtsjahr - darf sich Ursula Kerstein nicht nur an den wöchentlichen Sitzungen der Senatsdirektoren, sondern auch an denen der SenatorInnen beteiligen. Ein Stimmrecht hat sie dankend abgelehnt: „Das ist mir angetragen worden. Aber das habe ich mit großer Mühe verhindert, damit ich nicht an die Mehrheitsentscheidungen gebunden bin.“ Ursula Kerstein ist die Politik der kleinen Schritte und der ganz kleinen Erfolge gewohnt. Ihre Anwesenheit auf den Senatssitzungen, so erzählte sie, habe „Bewußtsein entwickelt bei den Männern“, beispielsweise habe der Senat erstmals eineinhalb Stunden lang debattiert, bevor er Innensenator Meyer die Er

laubnis erteilt habe, einen Mann anstelle einer Frau zur AmtsleiterIn zu küren. „Früher wäre sowas nie im Senat beredet worden“.

14 Frauen arbeiten mittlerweile in der Zentralstelle. Bisher bekam die kleine Behörde nicht mehr als vier Planstellen zugestanden. Die Frauen-Behörde behalf sich mit zahlreichen ABM-Kräften, freigestellten Lehrerinnen, Azubis und Praktikantinnen.

Der Jahresbericht 1987 gewährt einen Einblick in die unzähligen Bremer Gleichstellungs-Bemühungen: Die Stadtbibliothek arbeitet an einem Ratgeber für mädchenfreundliche Kinderbücher - auf Anregung der Gleichstellungsstelle. Das Modell-Projekt „Familienhebammen“ ist abgesichert - auf hartnäckiges Betreiben der Zentralstelle. Auch in anderen Bundesländern werden Ausbildungsplätze „starr“ quotiert - nach dem Bremer Vorbild.

Die Liste ist seitenfüllend. „Aber das Negative an dieser Arbeit ist, daß alles so langsam dauert“, entfuhr es der ungeduldigen Frauenbeauftragten. Falls das bisherige Schneckentempo andauere, hätten Frauen erst im Jahr 2328 50 Prozent aller Arbeitsplätze besetzt. - „Solange möchte ich nicht warten.“

Barbara Debus