Kultivierte Currywurst

■ Der E88-Rausch zerstört Berliner Wurstkultur

Der Morgen graut, vom Biersuff dröhnt der Schädel, der Magen grummelt, da hilft nur ein letzter vernichtender Anschlag auf die Magenflora. Eine echte Giftmülldeponie auf dem Pappteller, getränkt in Ketchup, zugeschüttet mit einem Berg von Zwiebeln. So eine richtige fettige Currywurst muß her.

Auf dem Kudamm parken die Fertigen der Nacht zweispurig vor ihrem Lieblingsimbiß. Raus aus dem Auto, rein in die Bude, bestellen und „hau weg den Scheiß“. Damit das Berliner fast -food die Nachtschwärmer nicht ganz aus den Socken haut, konnte man sich hier bisher noch an Marmor-Stehtischen festhalten. Daneben standen gegen Sonne und Regen, Riesenschirme.

Damit ist es nun vorbei. Vor ein paar Tagen wurden Tische und Schirme unter Polizeischutz auf Veranlassung des Bezirksamtes Charlottenburg abgeholt. Seitdem stehen dort vor dem Imbiß, auf dem sogenannten Straßenland, kleine niedliche, weiße Plastiktischchen und gelbe Gartenstühle.

An jeder Kudamm-Ecke stolpert man über diesen Ikea-Schnick -Schnack. Wer den Fehler begeht, sich dort reinzusetzen, ist für immer eingeklemmt in dieses orthopädische Folterinstrument. Der Magen knickt ein, die Currywurst läßt sich kaum noch verdauen. Und warum das Ganze?

E88 ist den kosmopolitischen Berlinern endgültig zu Kopf gestiegen. Hier auf dem Kudamm soll es nämlich aussehen wie in London oder Paris, die Champs Elyssees und die Oxford -Street lassen grüßen.

Herr Dr. Monke vom Hochbauamt Charlottenburg erläutert die Wunschvorstellungen der Stadtbeamten, welche verwalten unter den Namen: City Kommission, Kurfürsten-Image und Stadtbildpflege. Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um das repräsentative Out-fit des Kudamms geht.

Und so heißt es von Behördenseite: Der Boulevardcharakter muß gewährleistet bleiben. Auf das positive Erscheinungsbild kommt es an, sowie auf Ruhe und Ordnung. Es soll doch alles bitteschön nett, gemütlich und freundlich sein. Dafür eignen sich leichte lockere Stapelstühle und Tischchen einfach besser.

Auf die Idee, daß Tisch und Stuhl völlig am Fast-Food Charakter der Currywurst vorbeigehen, kommt scheinbar niemand. Schließlich ißt in London und Paris auch kein Mensch „fish and chips“ oder Crepes im Restaurant. Ganz zu schweigen von den Eß-Sitten in Rom. Die Italiener erledigen alles im Stehen: Espresso trinken, Pizza essen, Zeitunglesen. Fürs Sitzen muß man in Rom, Mailand und allen anderen Orten extra was draufzahlen.

Die kultur-europäisch offene Bezirksamt-Meinung zu der Frage, ob man sich nicht in Bezug auf die Currywurst vielleicht lieber der italienischen Mentalität annähern sollte: „Die Italiener haben ja keine Eßkultur.“ Das Ende der Stehtische bedeutet jedenfalls einen Angriff auf die Tradition der Currywurst.

csg