SHAKESPEARE IN DER SÜDSEE

■ Das Footsbarn Theatre schickte Macbeth auf Reisen

Falsche Hügel ziehen sich dahin, soweit das Auge reiht. Zwischen ihnen liegen Täler, so tief, daß sich in der Sohle das Wasser sammelt. Kleine Wälder stehen verloren in der Gegend herum und lassen ihre Baumkronen vom Wind zerzausen. Morgens und abends steigen Nebel aus den Tälern, und nach der Abenddämmerung beginnen unzählige Irrlichter um die wenigen Pfade zu tanzen, die hier entlang führen. Wenn aber Blitz und Donner durch die Täler toben, dann rollen große Findlinge die Hügel hinunter, gelbdampfend tut sich die Erde auf und die ekelerregenden Kreaturen der Unterwelt kriechen empor. Sie erzählen dem einsamen Wanderer von einem grausamen König, der hier einst sein Unwesen trieb. Dort auf dem Hügel in der uneinnehmbaren Burg haust er mit seiner schönen Frau.

An diesem Platz spielte vor Jahren Shakespeares „Macbeth“ in der Phantasie einer 17jährigen Schülerin. Polanskis Verfilmung war nichts als ihre eigene zu Zelluloid gewordene Vorstellung, Macbeth zwischen flutbelichteten Badewannen „nur“ noch Parabel. Nun steigt und fällt der Thane of Glamis auf einer schräggestellten Bühne unter einem Zirkusdach.

Die Fischernetze, die unter der Kuppel hängen, erinnern an Pfahldörfer in der Südsee. Macbeth ist sommerlich leicht bekleidet, er trägt einen langen braunen Lendenschurz und einen Lederhelm, von dessen Scheitel ein langer Haarschopf herunterfällt. Seine Füße sind bloß, Arme, Beine und Gesicht wild bemalt. Totzdem spricht er gepflegtes shakesperean English. Der aufsteigende Thane macht wilde Verwandlungen durch. Wenn er sich vor der Entdeckung seiner Morde fürchtet, schlottern seine Beine in der ausgebeulten Unterhose, und frierend schlägt er einen Lumpen fester um sich. Nachdem er sich zum König von Schottland emporgemordet hat, wirft er sich einen blütenweißen Mantel um, der alsbald die Spuren seiner blutigen Hände trägt. Auf dem Höhepunkt seiner Macht putzt der Geck sich mit den Federn exotischer Vögel. Aber dann kann er seine Schuld nicht mehr tragen. Die Wangen fallen ein, und in den riesig geschminkten Augen rollen wild die Pupillen.

Lady Macbeth hat ihren Gatten nicht mehr so recht im Griff. Vielleicht liegt es daran, daß die beiden sich nicht so lieben, wie Shakespeare das vorgesehen hatte. Vielleicht liebt der König die Lady auch nicht, weil sie unter ihrem Bauschröckchen eine dunkle Trainingshose trägt. Oder weil sie sich Mühe gibt, die Lady so zu spielen, wie alle sich den Prototyp einer Xanthippe an der Macht vorstellen: falsch, hart, grausam, laut keifend, heftig atmend, eine rechte Walküre. Wieso darf Lady Macbeth nie blond sein, warum darf sie nicht auch einmal charmant lächeln, und wer will wissen, daß sie sich nicht ganz klein fühlt? Nur als die Lady in der Trainingshose wimmernd im Schlaf über ihrem eingebildeten Blutfleck zusammenbricht, läßt sich die andere Lady Macbeth ahnen, die ihre Schuld nicht mehr erträgt, die zurückmöchte und nicht mehr kann.

Der König zeigt sich öfter von seinen schwachen Seiten. Eigentlich ist er bloß ein armes Würstchen. Das merkt nur niemand so recht, weil die ganze Welt in Unordnung geraten ist, seit der König von Gottes Gnaden zu morden begann. Nun springen Südsee-Eingeborene die Bühne hinunter, mittelalterliche Knappen huschen hinterher, Lady Macduff erlebt mit ihren Kindern das Biedermeierzeitalter, Masken und Kostüme wechseln im Fluge, und ein Slapstickkomiker, grölend belacht, verirrt sich auf die Bühne. Der König könnte bei so viel Spektakel fast in Vergessenheit geraten.

Aber Shakespeare hat schon dafür gesorgt, daß das nicht passiert. Die Schauspieler halten sich manchmal sogar wörtlich an seinen Text, auch wenn sie das Gegenteil ankündigen. Solange „hail to thee, thane of Cowdor, all hail, Macbeth, that shalt be king hereafter“ gerufen wird, kann das Stück auch in den Anden oder im Vatikan aufgeführt werden. Nur die Zeit nagt an ihm. Als Malcolm und Macduff Macbeth zur Strecke gebracht haben, Malcolm rechtmäßiger König wird und beide von der Bühne schleichen, bleibt ein schales Gefühl. Shakespeare glaubte noch, daß ein König besser sei als der andere.

Claudia Wahjudi

Footsbarn Theatre: „Macbeth“ - bis zum 24.7. tägl. 21 Uhr im Theaterzelt auf dem Mariannenplatz. Reservierung unter 752 80 85 oder 752 08 12