Vollmacht aus dem Dunkel

■ Aktionärsgruppe „Deutsch-Südwest“ auf den Spuren des geheimnisvollen Vulkan-Großaktionärs / Senatsrat gab ihn auch vor Gericht nicht preis

Bei der Aktionärsversammlung der Vulkan-Werft am 30. September 1986 repräsentierte ein kleiner Mann mit Brille und rotblonden Haaren mehr als 300.000 Aktien, das waren etwa zehn Prozent des damaligen Grundkapitals. Der Mann ist in Bremen kein Unbekannter: Er heißt Klaus Geertz, ist Senatsrat im Wirtschaftsressort und gleichzeitig Geschäftsführer der landeseigenen Beteiligungsgesellschaft Hibeg. Die 300.000 Aktien aber, für die er an den Abstimmungen teilnahm, waren weder seine eigenen, noch gehörten sie der Hibeg oder gar dem Bremer Senat. Ihr Besitzer blieb damals im dunkeln und ist es bis heute: Am vergangenen Freitag wurde Geertz vor dem Bremer Landgericht nach dem geheimnisvollen Großaktionär befragt und antwortete stereotyp: „Ich kann die Frage nicht beantworten“.

Den Prozeß angestrengt hatte der Vulkan-Kleinaktionär und Amtsgerichtsdirektor im einstweiligen Ruhestand, Rudolf Deichner aus Bad Dürkheim. Er wollte den Vulkan und die Hibeg dazu verurteilt sehen, daß sie den

Namen des Großaktionärs preisgeben müssen. Seine Hoffnung und sein Glaube: Daimler-Benz hat sich schon im Jahr 1985 beim Vulkan eingekauft. Weil er davon überzeugt war, hat Deichner sein Vermögen in Vulkan-Aktien angelegt und pro Aktie nach eigenen Angaben im Durchschnitt 140 Mark bezahlt. Seine Spekulation: Wenn bekannt wird, daß der schwäbische Rüstungskonzern am Vulkan ein großes Aktienpaket hält, faßt die Finanzwelt Vertrauen zu den Werftaktien, und die Kurse steigen. Wie er hofften zahlreiche wohlhabende Klein -Spekulanten aus dem Südwesten der Bundesrepublik: Der Sprung „ihres“ Daimlers an die Küste sollte ihnen Börsengewinne bringen. (Branchen-Sitzname dieser Aktionärsgruppe: „Deutsch-Südwest“) Doch es kam ganz anders:

Der Einstieg Daimlers beim Vulkan ließ sich bis heute nicht beweisen. Jahr um Jahr machte die Werft Verluste. Im Jahr 1987 waren es 167 Millionen Mark. Im März dieses Jahres mußte das Land Bremen neue Bürgschaften bewilligen, um die Werft vor der Pleite zu retten. Das Ergebnis:

Die Aktien fielen und fielen, zeitweise lagen sie unter 40 Mark, also um 100 Mark unter dem Kurs, zu dem Deichner und seine „Südwester“ gekauft hatten.

Der Amtsgerichtsdirektor aus der pfälzischen Kleinstadt verlor nicht nur sein beträchtliches Vermögen, sondern auch seine Stellung. Er ließ sich zum Landgericht von Frankenthal versetzen und trat schließlich in den Ruhestand. Auf eigenen Wunsch, wie er gestern sagte. Der Verfall der Aktien habe ihn psychisch stark belastet, sagte er der taz: „Wenn ich irgendeine Akte aufschlug, dachte ich an den Vulkan.“ Inzwischen ist er einen großen Teil seiner Aktien wieder los: Die Deutsche Bank hat ihn „exekutiert“, wie der bezeichnende Fachausdruck heißt, sie hat die Vulkan-Aktien, die Deichner bei ihr im Depot hatte, verkauft, um einen Teil der Schulden, die Deichner bei ihr hat, zu retten.

Auf die Spuren des Großaktionärs begab Deichner sich schon 1985. Damals hatte der Bremer Senat sich als Spekulant betätigt, mit glänzendem Erfolg: Von den Vulkan-Aktien, die er für weni

ger als 30 Mark von dem früheren Werfteigentümer und Kunsthändler Thyssen-Bornemisza übernommen hatte, verkaufte er ein Viertel an eine Schweizer Bank, die das Paket dann wieder auf den bundesdeutschen Markt brachte. Aber wer hat gekauft? Wer hat die Vollmacht mit der laufenden Nummer 953 ausgestellt, die Hibeg-Geschäftsführer Geertz vor knapp zwei Jahren dem Präsidium der Aktionärsversammlung vorlegte?

„Jeder im Saal geht davon aus, daß Sie den Großaktionär kennen“, leitete der vorsitzende Richter Eckhard Stierling die Befragung des Hibeg-Geschäftsführers ein. Geertz leugnete nicht. Daß er den Anteilseigner kenne, habe er auch gegenüber Deichner in einem Telefongespräch gesagt. Er habe ihm aber nicht zugesagt, dessen Identität aufzudecken. Das hatte Deichner geltend gemacht und gefordert, daß Geertz nun sein Versprechen einhält. Ob die Hibeg oder der Vorstand des Bremer Vulkan tatsächlich sagen muß, wer der Großaktionär ist, das wird die Kammer erst im September entscheiden.

mw