: Armenische Protestbewegung eingeschüchtert
■ Erdrückende Truppenpräsenz in Eriwan / Sowjetische Führung führt heftige Attacken gegen Karabach-Komitee / Generalstreik in Berg-Karabach erstmals nicht vollständig befolgt / Massenversammlungen werden seltener / Resignative Haltung macht sich breit
Moskau (afp) - Die Sowjetbehörden zeigten sich am Freitag entschlossen, die armenische Protestbewegung einzudämmen und ihre Führer zu isolieren, nachdem am Vortag die Protestbewegung erstmals abgeflaut war. Die Arbeit des für die Organisation der Streiks in Armenien verantwortlichen Karabach-Komitees solle sofort unterbunden werden, forderte die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘ am Freitag. Am Vortag hatte die amtliche Nachrichtenagentur TASS das Komitee bereits scharf angegriffen und beklagt, daß das seit März offiziell aufgelöste Komitee immer noch aktiv sei.
Am Donnerstag war ein Generalstreik für die Loslösung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten aserbeidjanischen Region Nagorny-(Berg-)Karabach erstmals nicht vollständig befolgt worden, gestanden armenische Nationalisten ein. Der Nahverkehr habe normal funktioniert und ab Montag werde überall wieder gearbeitet. Die 'Prawda‘ schrieb, nur drei Fabriken seien teilweise lahmgelegt worden. Die Gewerkschaftszeitung 'Trud‘ berichtete dagegen, alle Werke hätten normal gearbeitet. Nach Angaben der 'Prawda‘ wird Stepanakert, die Hauptstadt der Region Karabach, immer noch von einem Generalstreik lahmgelegt.
Ein weiteres Anzeichen für die nachlassende Dynamik der armenischen Protestbewegung sind die seltener werdenden Massenversammlungen in Eriwan. Nach Angaben der Ehefrau des Karabach-Komiteemitgliedes Vasgen Manukian sollen diese Treffen künftig nur noch freitags stattfinden. Diese Entscheidung sei vor allem wegen der immer erdrückenderen Truppenpräsenz getroffen worden. Für den Abend des 22. Juli war jedoch keine Versammlung einberufen worden. Am Donnerstag abend hatten sich noch einmal Hundertausende Armenier in Eriwan versammelt. Demonstranten forderten für den Bürgerrechtler Paruir Airikian das Recht auf einen öffentlichen Prozeß. Der Oberste Sowjet der UdSSR hatte zu Beginn der Woche die Ausbürgerung Airikians verfügt. Nach Ansicht engagierter Armenier solle der Kampf um die Karabach -Region vorerst wieder nur auf institutionellen Wegen geführt werden. In Armenien wird befürchtet, daß bei weiteren Massenaktionen das Karabach-Komitee direkt bedroht ist.
Die 'Prawda‘ veröffentlichte den Brief des lokalen Parteifunktionärs Achot Sarkissian an den armenischen Parteichef Suren Arutiunian, in dem dieser forderte, „daß die zuständigen Behörden die Aktionen des Karabach-Komitees sofort beenden“. Dies diene dem Wohl des armenischen Volkes, schreibt der Funktionär, der dem Komitee die Verantwortung für die blutigen Unruhen am Eriwaner Flughafen zuschreibt, bei denen am 5.Juli ein junger Mann von einem Soldaten erschossen worden war.
„Wer hat ihnen das Recht gegeben, unsere ruhmreichen Streitkräfte und das russische Volk zu verleumden? Haben sie 1915 vergessen, als dank der russischen Armee unsere Nation gerettet wurde?“, schrieb Sarkissian in Anspielung auf den Völkermord an den Armeniern in der Türkei. Das „größte Verbrechen dieser Bande“ aber sei der Streik, der dem Land enorme Verluste beschere, fügte er hinzu.
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