„Ich bin besessen von Monstren“

■ Wo Vernunft und Unvernunft aneinandergeraten, um Spuren zu hinterlassen / Antonio Saura, der Bruder des „Carmen„-Regisseurs, malt sich selber als Ungeheuer/ Von Goya zum abstrakten Expressionismus

Eine der bekanntesten Radierungen aus Goyas 1799 erstmals veröffentlichter Serie „Caprichos“ trägt den Titel: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Das Bild zeigt den Maler schlafend am Tisch, wärend Geschöpfe der Nacht, kleine Kobolde und Monster, seinen Kopf umkrabbeln.

Antonio Sauras Interesse gilt diesen Gestalten, die in unseren Köpfen ihr Unwesen treiben. Sie überlagern sich und wachsen ineinander wie Vergangenheit und Gegenwart, sie sind verschiedenster Herkunft und liegen im Streit miteinander wie widersprüchliche Gefühle. Deshalb malt Saura „imaginäre Portraits“. Er widmet sich „der Arbeit mit jenem inneren Bereich, darin die Vernunft und Unvernunft aneinandergeraten und den Wunsch hervorrufen, Spuren zu hinterlassen“, wie er selbst es in einem Aufsatz ausgedrückt hat.

„Ich bin besessen von Monstern! “ sagt Saura. „Nur wenn

ich Monster male, kann ich Liebe und Haß zugleich formulieren.“ Tanzen die Kobolde bei Goya noch um den Kopf herum, so gestaltet sich Saura selbst als Ungeheuer. Er kehrt das Innere nach außen. „Moi“ heißt eine Siebdruckserie, die 1976 enstand. Aus Portraitaufnahmen, die sein Bruder, der damalige Fotograf und heutige Filmregisseur Carlos Saura, von ihm machte, entstanden Fotocollagen und Übermalungen: zerrissene Köpfe, ein Augenpaar schaut ängstlich aus dem Bild heraus, doch der dazugehörige Mund grinst frech. Ein anderes Gesicht zerfällt in zwei Hälften, die nur durch eine feine, mit Tinte gezeichnete Augenbrauen -Nasenlinie verbunden sind. Die linke Seite bietet dem Betrachter eine träumerisch im Dunklen verschwindende Wange, von rechts jedoch trifft ihn ein strafender Blick.

Antonio Saura (1930 geboren) und der zwei Jahre jüngere Carlos wachsen während des spanischen

Bürgerkriegs auf. Die Schrecken des Krieges bestimmen ihre Kindheit. Zur einschneidenden Erfahrung wird die Trennung von relativ liberal erziehenden Eltern und der Umzug in das Haus der streng katholischen, franquistischen Tanten. Die ersten Bilder malt Antonio Saura im Alter von siebzehn Jahren wärend einer langen Krankheit.

1953 werden auf der „1. Ausstellung abstrakter Kunst“ in Santander Antonios Gemälde und Carlos Fotografien gezeigt. Der Fotograf beginnt ein Regiestudium an der Filmhochschule in Madrid, doch für den Maler ist das erstickende politische Klima unter Franco nicht erträglich. Wie viele seiner spanischen Kollegen verbringt Antonio Saura mehrere Jahre in Paris. Zunächst vom Surrealismus beeinflußt, wendet er sich bald einem abstrakten Expressionismus, dem sogenannten „Informel“ zu. Er sucht nach gesellschaftlichen Utopien, nach Möglichkeiten,

Freiheit zu produzieren. „Das Informel kann auch ein Protest sein, ein nihilistischer Akt, ein heftiger Ausbruch des kollektiven Unterbewußtseins, vielleicht nur ein Schrei, aber auch dann wird der Schrei schön sein.“

1957 kehrt er nach Spanien zurück und gründet mit einigen Freunden die Künstlergruppe „El Paso“. Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwingen die spanische Regierung mittlerweile, die selbstgewählte politische Isolation zu lockern. Kulturelle Kontakte zum Ausland werden zugelassen. Dem internationalen Erfolg der „El Paso„-Künstler ist es zu verdanken, daß auch die offizielle Haltung gegenüber der modernen Kunst sich verändert. Antonio Saura zeigt seine Bilder 1958 im spanischen Pavillion auf der Biennale in Venedig.

Für die Kampnagel-Austellung hat die Galeristin Ida Kaufmann Gemälde, Collagen, Siebdrucke und Bühnenskizzen Antonio Sauras aus den Jahren 1963 bis 1987

zusammengestellt. In ihrer XPO-Galerie sind kleinere, ganz neue Arbeiten zu sehen. Mit Filmen im Metropolis und einer Aufführung im Kampnagel Sommertheater werden dem Hamburger Publikum Antonio und Carlos Saura als zwei sich ergänzende Künstlerbrüder vorgestellt. „Wie steht es denn nun wirklich mit der Zusammenarbeit?“ frage ich den Maler am Ende unseres Gespräches. „Als Kinder sind wir mit Kreissägen aufeinander losgegangen. Deshalb habe ich Carlos geraten, Filmemacher zu werden. Jetzt haben wir wenigstens jeder unseren eigenen Bereich.“

Swantje Siebke

Sauras Bilder, Zeichnungen und Ausstattungsskizzen sind zu sehen in: Hamburg, Halle K3 auf Kampnagel, geöffnet täglich 16 bis 22 Uhr, bis zum 12. August. Zeichnungen in der XPO -Galerie Idas Kaufmann. Heinrich-Barth-Str.2, HH 13, geöffnet dienstags bis freitags 14 bis 19 Uhr'samstags 12 bis 14 Uhr, bis 12 August.