Gott hingegeben

■ Kongreß der Zeugen Jehovas in der Deutschlandhalle

Im Foyer der Deutschlandhalle werden „Tagesbeutel“ mit Verpflegung ausgegeben - gegen Essensmarken, an die „Herde“. Mehr als 7.500 Personen sind zum Bezirkskongreß der „Zeugen Jehovas“ gekommen; unter denen, die sich vier Tage lang zum Thema „Göttliches Recht“ von Ansprachen, Gebeten und Liedern „erbauen“ lassen wollen, sieht man überraschend viel jüngere - auch etliche Familien mit kleinen Kindern.

Der übliche Blumenschmuck, Mikrophonstative, dezentes Gebüsch auf der großen Podestbühne; über ihr gewaltige, in alle Richtungen abstrahlende Lautsprecher. Gegen Ende des Samstagvormittag-Programms spricht gerade ein Prediger zum Thema „Mit Respekt und Gottesfurcht handeln„; im Presseraum wird die Veranstaltung durch eine Videokamera übertragen aus technischen Gründen ist der Redner auf dem Bildschirm nur als verschwommener Lichtfleck zu sehen, verstehen kann man nur gelegentlich Worte wie Herrn loben, dienen, Aufgabe, vor der großen Schlacht.

Die Zuhörer in der stickigen Halle fächeln sich Luft zu; viele blicken ans Hallendach, scheinen gar nicht hinzuhören. Vielleicht genügt es zur Festigung des Glaubens, den monotonen Redeklang in sich aufzunehmen und gelegentlich Trostfloskeln wie Sorge, Rat, Mitbrüder zu registrieren. Am Ende jeder Ansprache wird programmgemäß Beifall geklatscht; inbrünstige Stimmung kommt nur auf, wenn alle aufstehen und (zu merkwürdig breiiger, fettig brausender Orgelmusik vom Band) singen müssen.

Das Gläubigkeitsprinzip der „Zeugen Jehovas“ (auch als „Wachtturm-Gesellschaft“ bekannt) ist einfach und effektiv: Aus der verbreiteten psychischen Not eine nivellierte Erweckungstugend machen. Alle Geschichte ist nach dem Glauben der in 200 Ländern tätigen Sekte nur Vorgeschichte; nur die Orientierung am Glauben des ersten christlichen Jahrhunderts werde das Gottesreich, das Göttliche Recht auf Erden herstellen. Der Wandel allerdings steht, laut einer „Jehovas„-Broschüre, seit etwa 100 Jahren unmittelbar bevor; gestützt werden die Phantastereien durch dick gestreute Bibelzitate.

Ohne sich seiner Komik bewußt zu sein, fordert ein Redner „die praktische Anwendung von Jesaja 32“. Sein Publikum weiß offenbar Bescheid - wenn vor den weitreichenden Trostprognosen vom kommenden Gottesstaat erst einmal geistig kapituliert wurde, beherrschen glückliche Gleichschaltung, dumpfe, still ergebene Akklamation die Atmosphäre.

In einem Dialog mit einer „Schwester“ führt ein Neuköllner Prediger selig lächelnd vor, worum es den Jehovas geht: Die Frau spricht von einer schweren persönlichen Krise, die sie mit vier kleinen Kindern hinter sich zu bringen hatte, weil „ihr Mann nicht Gott hingegeben war“. Alles kam wieder ins Lot, selbstverständlich per Eingreifen der „Mitbrüder“: Ihre vier Kinder sind, erzählt die Frau, „alle getauft“, ihr „Ältester steht (als Missionar) im Vollzeitdienst“.

Mittel und Zweck der Jehova-Ergebenheit sind identisch das einzige wahrhaft gravierende Problem eines Menschen kann sein, nicht zu den Sektierern zu gehören. Die Teilnehmer des Kongresses haben gelernt, daß es so ist, hören es unablässig wieder, beklatschen ihre eigene Unterwürfigkeit.kno