Birmas Führungsspitze springt ab

26 Jahre Alleinherrschaft in der Sozialistischen Union Birma beendet / Parteichef Ne Win und fünf Minister geben auf / Birma ist hoch verschuldet / Eingeleitete Öffnung soll Wirtschaft ankurbeln / Spekulationen um Einführung eines Mehrparteiensystems  ■  Von Michael Magercord

Göttingen (taz) - Rangun: Birmas allmächtiger Herrscher, General Ne Win, hat in seinem seit 26 Jahren von der Außenwelt abgeschotteten Land die politische Notbremse gezogen. Die Ankündigung seines Rücktritts als Vorsitzender der Einheitspartei „Burma Socialist Program Party“ und seine Erwägungen zur Einführung eines Mehr-parteiensystems haben den Spekulationen im Land und in der ganzen Region Südostasien Tür und Tor geöffnet.

Als Grund für seinen Schritt gab Ne Win nicht nur sein Alter (77) an. Er wolle zurücktreten, weil er glaube, für die „tragischen Ereignisse“ im März und im Juni „indirekt verantwortlich“ zu sein. Bei den nach Darstellung westlicher Diplomaten in Rangun von der Polizei damals „brutal“ niedergeschlagenen Unruhen gab es mehr als hundert Tote. Mit Ne Win boten fünf andere führende Parteifunktionäre ihren Rücktritt an.

Über 26 Jahre reagiert die Birmanische Sozialistische Partei. Ne Win, der 1962 an die Macht putschte, formulierte damals die gültige Leitlinie für seine Politik: Wirtschaftlicher Aufbau, aber nur ohne ausländische Hilfe. Neutralität und Blockfreiheit wurden zum Dogma. Noch im Jahr 1962 wurden alle in- und ausländischen Unternehmen verstaatlicht, auf teure Importe und Darlehen wurde verzichtet.

Und tatsächlich gelang es Birma, sich in den 70er Jahren über die Rezession und Schuldenkrise zu schaukeln, verpaßte aber gleichzeitig den Anschluß an den Weltmarkt. Birma, einst Kornkammer Asiens, konnte mit seinem Reis, dem einzigen Ausfuhrprodukt, wegen schlechter Qualität und sinkender Weltmarktpreise keine Devisen mehr erwirtschaften, die Schuldenlast frißt mittlerweile mehr als 30 Prozent des Staatsbudgets, Importe wurden gedrosselt und nötige Infrastrukturmaßnahmen verschoben. Nur über den Schwarzmarkt können sich die Birmanen noch einigermaßen mit Öl oder Konsumgütern versorgen. Geschätzter Jahresumsatz des illegalen Handels liegt bei 200 Mio. US-Dollar. Eines allerdings vermag der Schwarzmarkt nicht: Birmas strukturelle Probleme zu lösen.

Vor allem die Händler und Studenten, in einem hoffnungslos unterentwickelten Land um ihre Chancen gebracht, mußten zusehen, wie Birma das wohl einzige Entwicklungsland wurde, das nach Vorstellungen seiner Regierung auch eines bleiben sollte. Doch schon vor den ersten Unruhen im September 1987, ausgelöst durch eine Reduzierung des Geldumlaufs um 70 Prozent, regte sich Widerstand auch in der Partei. Staatspräsident San Yoo, seit 1981 Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Ne Win, reagierte mit vagen Äußerungen eines möglichen Wechsels in der Abschottungspolitik. San Yoo philosophierte damals vor dem ZK über den Wandel in kosmischen Gefilden, dem sich auch Birma nicht entziehen könne. Kurz darauf erfolgte die Freigabe des Reishandels, mit dem 75 Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet werden, für private Geschäftsleute.

Als erste Konsequenz einer auch nach außen zu erfolgenden Öffnung beantragte die Regierung bei der UNO die Registrierung als LDC-Staat (least developed country), damit wird nun die Schuldenlast durch teilweisen Erlaß sanfter ausfallen. Für die birmanische Staatsführung war dieser Schritt eine harte Zäsur ihrer Politik, stellte er doch auch gleichzeitig ein Eingeständnis eigener Unfähigkeit dar. Im Januar beantragte Birma schließlich bei der asiatischen Entwicklungsbank ein Darlehen in Höhe von 55 Mio. US-Dollar für Ölimporte und Ersatzteile zur Aufrechterhaltung der eigenen Produktion und beugte sich gleichzeitig den hohen Auflagen der Bank. Den Studenten geht der Abschied der alten Garden von ihren Utopien zu langsam. Daran wird auch Ne Wins überfälliger Rücktritt nichts ändern.