Der Kreis ist blau und das Quadrat ist rot

■ bauhaus utopien / Eine Ausstellung in Köln

Ingeborg Braunert

Bauhaus - dieses schnöde deutsche Wort, das zum weltweiten Begriff wurde und für viele Nicht-Deutsche doch so schwer auszusprechen ist mit seinen zwei Doppelvokalen, dem Haucher dazwischen und dem Zischer am Ende, löste und löst immer noch Irritationen und Kontroversen aus. Solange es als feste Adresse existierte, 1919-1924 als „Staatliches Bauhaus Weimar“, 1926-1933 als „bauhaus, hochschule für gestaltung“ in Dessau (die Kleinschreibung wurde 1925 beschlossen), war es für die einen das Mekka der Moderne, die erste integrierte Gesamtschule für Kunst, Handwerk und Leben, für die anderen eine Provokation, eine Brutstätte von Boheme und Kommunismus. Zu den anderen gehörten auch die Nazis. Die NSDAP war in Dessau zur Kommunalwahl mit einem Programm angetreten, an dessen erster Stelle die Schließung des Bauhauses stand und das die Drohung enthielt, es in Schutt und Asche zu legen. Das eine haben sie dann getan, das andere nicht. Das Gropius-Gebäude in Dessau wurde ab 1933 als Lagerhalle umfunktioniert und dem Verfall überlassen. Heute hat es die DDR-Regierung restauriert, es ist wieder zu besichtigen.

Die Irritation kam wieder nach Faschismus und Krieg. Als in den fünfziger Jahren in der Wirtschaftswunder-Bundesrepublik Bauten nach den Plänen von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe entstanden, als man einst als entartet geltende Bilder von Kandinsky, Klee, Albers, Oelze, Schlemmer und Feininger besichtigen konnte, als neue Schulen und Universitäten mit stapelbaren Stahlrohrmöbeln ausgestattet wurden, war es der Begriff „Bauhaus“, der überall auftauchte und das so Diverse verband. Das Moderne stammte nicht aus New York, London oder Paris, sondern aus Provinzstädten in Sachsen und Brandenburg, heute würde man sagen: aus Mitteleuropa.

Kubus, Rechteck und Flachdach erfuhren in der Folge im westdeutschen Städte- und Wohnungsbau eine solche Ausbreitung, daß schließlich das Bauhaus als Urheber solcher Architektur ab Ende der sechziger Jahre selbst für die Unwirtlichkeit (Alexander Mitscherlich) oder Unwirklichkeit (Wolf Jobst Siedler) unserer Städte verantwortlich gemacht wurde. 1968 wurde die Ulmer Hochschule für Gestaltung, die als Nachfolge-Einrichtung des Bauhauses gedacht war, geschlossen, just in dem Jahr, als in Stuttgart die große Retrospektiv-Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ stattfand. Natürlich protestierten die Studenten dagegen - es war ja 1968 - und der 83jährige Walter Gropius mit ihnen, das Megaphon in der Hand. Später richtete man dann nach seinem Entwurf ein Bauhaus-Archiv in West-Berlin ein; es wurde sein letztes Werk.

Heute, in den Achtzigern, restauriert man die historisierenden Klotzbauten der Gründerzeit, erstellt man Neubauten nach Belieben mit vorgefertigten Erkern, Giebeln, Dachgauben und Palladio-Bögen, möbliert die Großstadtstraßen und -plätze mit Plastikpfählen und Laternen, die Gußeisen mitsamt Jahrhundertwende-Schnörkeln imitieren, geradeso, als ob man die Forderung des Bauhauses nach Funktionalität, Materialgerechtigkeit und Sparsamkeit vergessen machen möchte.

Wulf Herzogenrath, der Direktor des Kölnischen Kunstvereins, ist ein Spezialist in Sachen Bauhaus. Er hat, beauftragt und bezahlt vom Auswärtigen Amt, eine Ausstellung zusammengetragen, deren Premiere zur Eröffnung des deutsch -ungarischen Kulturabkommens im Frühjahr 1988 in Budapest stattfand. Des Interesses in Ungarn konnte man gewiß sein, da viele bekannte Bauhaus-Namen Ungarn sind: Laszlo Maholy -Nagy, Farkas Molnar, Ernst Kallai. Danach ging die Ausstellung nach Madrid und nun, als letzte Station, ist sie dort zu sehen, wo ihr Initiator Hausherr ist: im Kölnischen Kunstverein.

Herzogenrath nennt seine Ausstellung: „bauhaus utopien. Arbeiten auf Papier.“ Ober- und Untertitel sind wörtlich zu nehmen und bedingen sich. Denn gezeigt werden Pläne und Entwürfe, von denen einige umgesetzt wurden, viele aber nicht. Es gibt keine dreidimensionalen Gegenstände in dieser Ausstellung, alles hängt an der Wand und ist auf Papier: Zeichnungen, Skizzen, Fotografien, Collagen, Aquarelle, Lithographien, Gedrucktes.

Ein anderer Kölner Museumsdirektor erklärte erst kürzlich öffentlich, daß die neueste Ausstellungs- und Museums -„Wissenschaft“ es verbiete, historische Ausstellungen nur mit „Flachware“ zu bestücken. Daß Herzogenrath gegen dieses Verdikt verstößt, tut der Ausstellung gut.

Man geht die Wände entlang, wie man in einem Erinnerungsalbum blättert, in das neben Fotografien auch Fahr- und Eintrittskarten, Briefe etc. geklebt sind. Die Ausstellungsstücke wirken unmittelbar in ihrer Leichtigkeit und gleichzeitig unwiederbringlich. Man verfolgt gerührt den Eifer und das Pathos, mit dem die Bauhaus-KünstlerInnen nach allen Richtungen versuchten, Kunst ins Leben zu bringen und dabei keine Grenzen zwischen originärer und angewandter Kunst zu ziehen.

Es ist die Absicht Herzogenraths, mit dieser Ausstellung Sympathien für das Bauhaus (zurück-) zu gewinnen. Er macht es geschickt und es gelingt ihm, indem er z.B. der Architektur, die bei der heutigen Beurteilung des Bauhauses die Hauptrolle spielt, nicht mehr Platz einräumt als den anderen Werkstätten des Bauhausen, nach denen die Abteilungen der Ausstellung eingerichtet sind: Typographie, Druckgraphik, Keramik, Plastik, Metall, Möbel, Weberei, Fotografie, Wandgestaltung (Bauhaus-Tapete!), Ausstellungsgestaltung, Malerei, Bühne. Eine Abteilung „Leben“ belegt mit Amateurfotos die zahlreichen Bauhausfeste, die Anlaß zu Dekorationen, Kostümierungen, Vorführungen und Musizieren gaben. Den „Meistern“ (so hießen die Lehrer noch in Weimar; in Dessau wurden sie mit dem Aufstieg des Bauhauses zur Hochschule Professoren) Klee, Kandinsky, Schlemmer, Maholy-Nagy sind eigene Abteilungen gewidmet, wo sowohl ihre eigenen Bauhaus-Arbeiten gezeigt wie auch Arbeitsergebnisse der Schüler ihrer Werkstätten vorgestellt werden.

Man scheut es sich fast zu schreiben, weil man es letzthin in so vielen Artikeln über Ausstellungen lesen kann: der Katalog zur Ausstellung ist zu empfehlen. Er ist ein eigenständiges Buch, das nicht nur alle Dokumente der Ausstellung in bester Reproduktion abbildet und kommentiert, sondern viele zusätzliche Informationen in Wort und Bild bietet.

Herzogenrath kämpft in seinem einleitenden Aufsatz „Die fünf Phasen des Bauhauses“ vor allem gegen eine eindimensionale widerspruchsfreie Auffassung über das, was Bauhaus war und wurde. Dabei verfängt er sich manchmal zu sehr in den Bauhaus-internen Widersprüchen. Z.B. wenn er bemerkt: „Viele der scheinbar als allgemeingültig anerkannten Grundlagen mußten subjektive Veränderungen durchmachen. Kandinsky und die Mehrheit sagten: Der Kreis ist blau und das Quadrat ist rot - Schlemmer empfand genau umgekehrt!“

Die fünf Phasen ordnet er chronologisch in der Reihenfolge der drei Bauhausdirektoren Walter Gropius (1919-28), Hannes Meyer (1928-30), Ludwig Mies van der Rohe (1930-33). Alle drei waren Architekten, von denen ja bekannt ist, daß sie ihr bodenständiges Handwerk gern mit nebulösen Sprechblasen kompensieren. Umso erfrischender wirkt darum ein Zitat von Hannes Meyer, dem Schweizer, der mit der KPD sympathisierte und schon 1930 nach Moskau ging, das er 1936 schon wieder verließ, um via Schweiz 1939 nach Mexiko zu gehen. Er schrieb 1930 an den Bürgermeister von Dessau: „Was fand ich vor? Eine Hochschule für Gestaltung, in welcher aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktivistelndes Gebilde gemacht wurde. Eine 'Kathedrale des Sozialismus‘, in welcher ein mittelalterlicher Kult betrieben wurde mit den Revolutionären der Vorkriegskunst... Man saß und schlief auf der farbigen Geometrie der Möbel. Man bewohnte die gefärbten Plastiken der Häuser. Auf deren Fußböden lagen als Teppiche die seelischen Komplexe junger Mädchen. Überall erdrosselte die Kunst das Leben. So entstand meine tragikomische Situation: als Bauhausleiter bekämpfte ich den Bauhausstil. Ich kämpfte aufbauend durch meine Lehre: Alles Leben sei ein Streben nach Sauerstoff + Kohlenstoff + Zucker + Stärke + Eiweiß. Alle Gestaltung sei daher im Diesseits zu verankern. Bauen sei ein biologischer Vorgang und kein ästhetischer Prozeß. Bauen sei keine Affektleistung des einzelnen, sondern eine kollektive Handlung.“

bauhaus utopien. Arbeiten auf Papier. Kunstverein Köln. 15.Juli bis 4.September 1988

Katalog: bauhaus utopien. Hrsg.: Wulf Herzogenrath, Edition Cantz 1988. Auf und während der Ausstellung: DM 54,-, im Buchhandel: DM 78,