IG Chemie: Kahlschlag mit Seelenschmerz

Morgen entscheidet der Hauptvorstand der IG Chemie über den Gewerkschaftsausschluß der gesamten Vertrauensleutekörper-Leitung bei Boehringer Mannheim / Anlaß: IG-Chemie-Desaster bei den Aufsichtsratswahlen / „Verhärtete Situation“ schon seit Jahren  ■  Von Maria Kniesburges

Berlin (taz) - Sollte der Hauptvorstand der IG Chemie morgen den Gewerkschaftsausschluß der gesamten elfköpfigen Vertrauensleutekörper-Leitung (VKL) bei Boehringer Mannheim beschließen, wie es ein Antrag des geschäftsführenden Hannoveraner Hauptvorstandes will, dann käme das einem gewerkschaftlichen Kahlschlag gleich, wie ihn sich die Arbeitgeberseite effektiver nicht wünschen könnte. Durch den Rausschmiß würde nicht nur die gewerkschaftliche Interessenvertretung in einem der bedeutendsten Pharma -Unternehmen der Republik empfindlich getroffen - acht der elf Vertrauensleute sind gleichzeitig IG-Chemie -VertreterInnen im Betriebsrat, fünf davon freigestellt sondern in der überbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit würde gleich mit aufgeräumt. Immerhin sind drei der Vertrauensleute Mitglieder des Mannheimer IG-Chemie -Verwaltungsstellenvorstandes, zwei sind Delegierte auf dem im Herbst anstehenden Gewerkschaftstag. Rausgekantet würde zudem ein Mitglied der IG-Chemie-Tarifkommission sowie auch der Vorsitzende des IG-Chemie-Angestelltenausschusses in Mannheim.

Anlaß für die Keule „Antrag auf Gewerkschaftsausschluß“ waren der Hannoveraner IG-Chemie-Zentrale die verpatzten Wahlen zum Aufsichtsrat bei Boehringer im Frühjahr dieses Jahres. Nachdem keine Einigung zwischen Hauptvorstand und betrieblicher Wahlkonferenz über die zwei betriebsexternen IG-Chemie-Kandidaten für den Aufsichtsrat hergestellt werden konnte und der Vorstand trotz gegenteiliger Voten aus dem Betrieb an seinem Spitzenkandidaten festhielt, fielen beide externen Chemie-Kandidaten bei den Aufsichtsratswahlen durch. Statt dessen fiel ein Aufsichtsratsmandat an die DAG, ein weiteres an den „Verband Angestellter Akademiker“ (VAA). Daraufhin wurde der Gewerkschaftsausschluß eingeleitet.

Derzeit scheint die Situation festgefahren: Nachdem die mündliche Anhörung der vom Ausschluß bedrohten elf Vertrauensleute keine Bewegung in die gewerkschaftsinterne Auseinandersetzung gebracht hatte, baten die Boehringer Vertrauensleute den IG-Chemie-Chef Rappe und weitere Hauptvorstandsmitglieder schriftlich um ein persönliches Gespräch, um „den Konflikt intern zu beenden und so Schaden für die Organisation zu verhindern“. Dies wurde seitens der Hannoveraner Zentrale mit dem Hinweis abgelehnt, ein Gespräch „sei mit Rücksicht auf das schwebende Verfahren bis zur Sitzung des Gesamtvorstandes nicht möglich“.

Auch ein erneutes Schreiben der Boehringer-VKL an den Hannoveraner Vorstand von Ende letzter Woche wird nicht zu dem angestrebten persönlichen Gespräch im Vorfeld der morgigen Sitzung des Gesamtvorstandes führen. „Das Schreiben wird am Mittwoch dem Gesamt-Vorstand vorgelegt“, so Wolfgang Schultze, Vorsitzender der IG Chemie und im Hauptvorstand zuständig für den Bereich Organisation/Umweltschutz, gestern zur taz. Befragt nach den negativen Folgen für die bislang anerkannt erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit bei Boehringer Mannheim, sollte die gesamte VKL ausgeschlossen werden, sagte Schultze: „Das tut mir in der Seele weh.“ In Hannover aber scheint der Ärger über die Boehringer Vertrauensleute schon länger zu gären: „Die Vertrauensleutekörper-Leitung bei Boehringer hat sich über Jahre hinweg so verselbständigt“, so Schultze weiter, „daß sie nach unserer Auffassung ein eigenes Modell von Gewerkschaftsarbeit wollen. Das können wir nicht akzeptieren.“ Differenzen zwischen der Hannoveraner Zentrale und den Boehringer -Vertrauensleuten hat es in der Vergangenheit in der Tat zuhauf gegeben. So fordern die Boehringer-Vertrauensleute entschieden den Ausstieg aus der Atompolitik und hielten auch dann noch an der Forderung nach der 35-Stunden-Woche fest, als sich der Vorstand längst die „Vorruhestandsregelung“ auf die Fahnen geschrieben hatte.