Entkolonialisierung auf französisch

■ Die Befreiungsbewegung Neu-Kaledoniens ist mit dem Abkommen noch nicht zufrieden / Von Beate Seel

Als Anfang Mai französische Soldaten das Versteck kanakischer Befreiungskämpfer und ihrer (französischen) Geiseln stürmten und ein Blutbad anrichteten, hatte der alte Konflikt einen Höhepunkt erreicht: Kolonisatoren gegen Ureinwohner. Die neue Regierung in Paris beeilte sich zu entschärfen: Premierminister Michel Rocard legte einen Zehn -Jahresplan zur „Selbstbestimmung“ der südpazifischen Inselgruppe vor. Doch über den Plan sollen erst einmal ... die Franzosen abstimmen.

Mit ihren staubigen Autos waren sie gen Süden gefahren, die „Buschmänner“, französische Siedler, die im Norden Neu -Kaledoniens inmitten einer kanakischen Bevölkerungsmehrheit leben. Schließlich sollte auch über ihre Zukunft entschieden werden. Und so gehörten sie am Freitag zu den rund tausend Delegierten der „Vereinigung für ein Verbleiben Neu -Kaledoniens in der Republik“ (RPCR) - der Republik Frankreich, versteht sich. Thema des Treffens: das sogenannte Rocard-Abkommen, das die Siedlerpartei mit der Befreiungsbewegung der melanesischen Urbevölkerung, den Kanaken, Ende Juni in Paris ausgehandelt hatte - unter Vermittlung des französischen Premierministers.

Die Gegenseite, die Befreiungsfront FLNKS, war derweil in gleicher Sache an anderem Ort zusammengetreten, und beide Kontrahenten hatte mit der Wahl ihres Tagungsortes Sinn für Symbolik bewiesen: Die RPCR hatte die Sporthalle der zweitgrößten Stadt des Landes, Mont d'Ore, ausgewählt, Sinnbild der Expansion von „Großnoumea“, der überwiegend europäisch gefärbten Hauptstadt Neu-Kaledoniens. Die FLNKS tagte dagegen auf der Insel Ouvea, der „Insel der Märtyrer“. Hier waren im Mai bei einer blutigen Befreiungsaktion französischer Geiseln durch das Militär 19 Kanaken und zwei Soldaten ums Leben gekommen.

Das Ergebnis der Politveranstaltungen - ein klares „Ja“ zum Abkommen seitens der RPCR, ein „Ja, aber“ bei der FLNKS weist daraufhin, wessen Interessen besser berücksichtigt wurden. Es geschieht zwar nicht jeden Tag, daß eine Partei, die (wie bereits ihr Name sagt) mit der Kolonialmacht auch künftig verbunden bleiben möchte, für ein Abkommen votiert, das die „Selbstbestimmung“ einer Kolonie anstrebt. Der Teufel steckt freilich, wie so häufig, im Detail.

Das Abkommen sieht vor, daß Neu-Kaledonien für die Dauer eines Jahres der direkten Verwaltung Frankreichs in der Rolle eines „neutralen Staates“ unterstellt wird. Während dieser Zeit sollen Gesetzesvorlagen über neue Institutionen ausgearbeitet und rückständige Regionen sowie die Ausbildung junger Kanaken finanziell gefördert werden. Ferner ist eine Neueinteilung des Landes in drei Regionen und eine Abstimmung über Selbstverwaltung im Jahre 1998 vorgesehen. Daran sollen sich allerdings nur diejenigen nebst ihren erwachsenen Kindern beteiligen dürfen, die auch bei einem Referendum über das Abkommen am 25.September wahlberechtigt sind.

Es ist vor allem der letzte Punkt, der Jacques Lafleur, Chef der Siedler-Partei, ruhig schlafen läßt, der aber Unmut an der FLNKS-Basis schürte. Denn bleibt diese Regelung bestehen, wird sich aller Voraussicht nach Neu-Kaledonien 1998 mehrheitlich (60 Prozent) gegen die Selbstbestimmung aussprechen. Zwar werden die Kanaken mit ihrer höheren Geburtenrate bis dahin die Mehrheit der Bevölkerung stellen, nicht jedoch die der (erwachsenen) Wähler. Daher, so beschloß die FLNKS, muß dieser Passus bei Nachverhandlungen Mitte August geändert werden. Denkbar wäre beispielsweise, nur denjenigen, die auf Neu-Kaledonien geboren wurden, das Stimmrecht zuzugestehen. Das würde neu Zugewanderte und vorübergehend dort stationierte Franzosen ausschließen.

Kernpunkt des „Ja, aber“ ist die Frage der Wahlberechtigung, die auch die Debatte bei den jetzt anstehenden Nachbesserungen bestimmen wird. Der Spielraum von Kanakenführer Tjibaou wird geringer sein als bei den letzten Verhandlungen: denn Vertreter der einzelnen kanakischen Parteien, die in der FLNKS zusammengeschlossen sind, werden ihm zur Seite gestellt. Yann Celene Uregei, Führer der FULK (Vereinigte kanakische Befreiungsfront) hatte bei einer ersten Diskussionsrunde eine Woche zuvor den Rücktritt des FLNKS-Chefs gefordert. Ein entsprechender Antrag wurde am vergangenen Wochenende auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Frankreichs Kolonialminister Louis Le Pensec zeigt sich in einer ersten Reaktion zufrieden mit der Haltung von Siedlern und Kanaken. Beide Organisationen hätten „ihre Aktionen im Rahmen der Vorschläge des Premierministers anzusiedeln“. Bereits am vergangenen Donnerstag hatte der Minister den Beteiligten vor Ort klar gemacht: weitere Diskussionen über das Abkommen seien möglich, jedoch keine „Neuverhandlungen“. Ein Wort, das sich FLNKS-Chef Tjibaou am Wochenende auch prompt hütete, in den Mund zu nehmen.