G E O R G T I E T Z

■ Z W A N G S W I R T S C H A F T

Mit zunehmender Warenknappheit wurde die Zwangswirtschaft immer mehr ausgebaut. Alles wurde behördlich geregelt, die Waren wurden zugeteilt und rationiert; die Preise für den Verteiler und auch für den Verbraucher festgesetzt. Außerhalb des Heeresgeschäfts wurden wir mehr oder minder zu Verteilern. Vielleicht ging das nicht anders. Verdienstmäßig schien es gar nicht schlecht zu sein. Aber bei der durch die Knappheit und Bürokratisierung erfolgten Teuerung und bei stabil bleibenden Löhnen und Gehältern bedeutete dies eine erhebliche Verschlechterung des Realeinkommens der arbeitenden Bevölkerung.

Wie sich dies auswirkte, soll ein Beispiel zeigen: In unseren Kellern befanden sich etwas über 1.500 Tonnen getrocknete Erbsen, also etwas mehr als drei Millionen Pfund, die teils aus alten Beständen stammten, teils im In und Ausland allmählich aufgekauft worden waren. Das Reich beschlagnahmte diese zugunsten der Zentral-Einkaufs -Gesellschaft, der Z.E.G. Man billigte uns einen Nutzen von zehn Prozent auf unseren Einstandspreis zu, der etwa 17,50 Mark pro hundert Pfund war, ferner drei Prozent für Andienungsspesen. Wir dienten die Ware der Z.E.G. an und ersuchten um Auslieferungsauftrag. Dieser erfolgte nach einer Woche. Wir sollten die Ware, wenn wir dazu imstande wären, in einem gesonderten Raum in unseren Kellern lagern und pfleglich behandeln, wofür wir mit einem Prozent des noch zu bestimmenden Auslieferungspreises ihrerseits entschädigt werden würden. Die Ware wurde durch einen Holzverschlag geschützt und während der Geschäftsrunden von einem Beamten der Z.E.G. bewacht, der über die Ausgänge Buch führte. Die Erbsen blieben bei uns liegen. Nach etwa drei Monaten bekamen wir den Auftrag, die Ware gegen drei Prozent Vergütung an den Magistrat Berlin zum Preise von 21 Mark für 100 Pfund zu liefern. Dieser fragte wiederum an, ob wir sie ordnungsgemäß lagern und behandeln könnten. Wir bejahten und bekamen die gleichen Bedingungen wie vorher zugestanden. Das Schild wurde gewechselt von Z.E.G. zu „Nahrungsamt der Stadt Berlin“, und statt des Z.E.G.-Beamten saß ein Magistratsbeamter da; sonst hatte sich nichts geändert. Jetzt wurde uns nach Maßgabe der täglich eingehenden Hülsenfrucht-Rationierungsmarken die Ware in einem Zeitraum von etwa anderthalb Jahren zum Preis von 24 Mark für 100 Pfund zum Detailverkauf zugeteilt, wofür wir drei Prozent Auslieferungsgebühr erhielten und nun einen Einzelhandelsauftrag von 17 Prozent nehmen duften und mußten. Das heißt, die Hausfrau muß inklusive Verpackung 30 Pfennig für das Pfund Erbsen bezahlen. Ohne die Zwangswirtschaft hätten wir vielleicht wegen der längeren Lagerung 21 oder 22 Pfennig gefordert...

Georg Tietz, der Autor dieser Zeilen, war der älteste Sohn von Oscar Tietz, dem Begründer und eigentlichen Schöpfer des Warenkonzerns „Hermann Tietz“, des heutigen „Hertie“. 1965 wurde seine Familiengeschichte veröffentlicht; die hier abgedruckte Episode stammt aus dem Ersten Weltkrieg. Ausgewählt von

Michael Trabitzsch