Unfaßbar, stöhnt der Nachbar

■ Die Polizei läßt Fahrräder versteigern und jeder will ein Stückchen Schrott abhaben

Bis zu den Objekten der Begierde ist bereits eine Stunde vor Beginn kein durchkommen. Schon vor der Lagerhalle in der Wintersteinstraße in Charlottenburg, Domizil des Auktionärs Plohmann, stauen sich hunderte von Kauf- und Ersteigerungswilligen und warten. Drinnen sind bereits 300 Menschen. „Das Wasserglas ist voll“, ruft Plohmann über Megaphon in die Menge, verspricht zwecks Beruhigung weiteren Einlaß, wenn die ersten mit ihren neuen Fahrrädern herauskämen. Pure Beschwichtigung, weiß jeder, der bis drei zählen kann. Denn was sind 160 Fahrräder für über sechshundert Käufer?

Die Masse murrt, pufft und schiebt auf's kleine Eingangstürchen zu, der Achselschweiß des Nachbarn drängt in die Nase. Auch einige Rückkehrer, die Nase voll schon vor Versteigerungsbeginn, „alles Schrott“ murmelnd, lassen keinen zurücktreten. Je mehr gedrängelt wird, umso mehr erwacht eben im Berliner der Hamstertrieb des Blockadetraumas. „Als ob hier Frauen versteigert werden“, empört sich einer gegen die bohrenden Ellenbogen seiner Mit -Konkurrenten.

Drinnen in der alten Fabrikhalle schwingt Plohmann das Hämmerchen über jene Drahtesel, die als Fundsachen bei der Polizei angefallen sind. Dabei handelt es sich zumeist um verlassenes Diebesgut, mutmaßt die Kripo. Die Luft steht in der stickigen Halle, die Temperatur geht ebenso hoch wie das Temperament: alles drängelt und reckt sich, um noch ein Blick auf das jeweilige Objekt zu erhaschen. Andere klettern auf Tische, Regale und Fensternischen und lassen sich auch durch Aufforderung nicht vertreiben.

Ein heißes Begehren läßt jede Vernunft vergessen. Die Angebote prasseln auf Geräte hernieder, die es längst verdient hätten, in Pension zu gehen. Herr Plohmann nimmt's mit Freude hin und hilft ein bißchen nach: „sieht doch hübsch aus, die Feuerwehr“, preist er eine rot gestrichene Mähre an und schon steigt jemand mit 100 Mark ein, der blanke Wahnsinn für die Mühle. 390 Mark kommen für ein waidwundes Raderl heraus, 340 Mark legt einer für ein gammliges Tschibo-Rad auf den Kassentisch des Hauses. „Unfaßbar“, stöhnt der sachkundige Nachbar. Herr Plohmann kommt mit dem Zählen gar nicht nach.

„Hier seh‘ ich sechzig, dort siebzig, hinten achtzig, neunzig, hundert.“ Und wenn der Masse dann doch der Zweifel kommt, ob jenes Gerät mit platten Reifen und herabbaumelnden Lenker die Mühe lohnt, hilft Auktionator Plohmann per Kunstpause etwas nach: “...zum ersten und zum zweiten, und habe ich noch jemand übersehen, wo sehe ich die hundert Mark?“

Und der Berliner läßt sich nicht lange bitten. Und so geht auch dieses Rad auf 170 Märker hoch, bevor bei „drei“ endlich der Hammer fällt. Wenn man schon all den Kampf hinter sich gebracht hat, dann will man auch mit einem Rad nach Hause fahren, notfalls auch gehen, das Rad im Schiebegriff. Die Sonne steht auf dem Dach der Lagerhalle, der Schweiß rinnt und weiter geht die irre Jagd, als wäre die Bergwertung der Tour de France zu gewinnen. Sind's Kurzschlußhandlungen durch Hitzestau und Luftmangel, die das Bewußtsein der Anwesenden zu trüben scheinen?

Die Menschen drängt es in günstigere Postionen, hinter ihm schließt sich der Kreis, Herr Plohmann treibt die Bieter fort. „Sie sind Sieger, kommen sie nach vorne“, ruft Plohmann, doch der zukünftige Besitzer kommt durch die Mauer der Begehrenden nicht hindurch.

Gezahlt werden muß an der Kasse; nur Bargeld, keine Schecks. Wenn sich die beiden Partner zum ersten Male gegenüberstehen, dann kommt der Augenblick der Wahrheit. „Die Dame will das Fahrrad nicht mehr haben“, ruft die Angestellte an der Kasse dem Herrn des Hammers zu. „gibts nicht“, röhrt Herr Plohmann und geknickt schiebt die Frau von dannen.

Und drinnen tobt die Schlacht weiter.

Gerd Nowakowski