Wenn es so wäre

Zum Streik in der Tagesschau  ■ K O M M E N T A R

Wenn es so wäre, daß der Verdauungstrakt der Nation um seinen allabendlichen Magenbitter gebracht worden wäre, nicht mehr kleingehackte Katastrophen und großdekorierte Politiker von gewohnten Moderatoren vor gewohntem Hintergrund schlucken könnte; wenn es so wäre, daß die Tagesschautechniker erschöpft von täglicher Routine, bedroht von Mehrarbeit und allgemeiner Lebensangst, den Alltag der Bundesrepublik nicht mehr mitmachend, das Schema des Ungeistes platter Aktualität aufkündigend, mit ihrer anarchischen Streiklust das trübe Innere unserer öffentlich -rechtlichen Medien plötzlich freigelegt hätten, müßten wir frohlocken und von fröhlichen Zersetzungen quer durch das Programm träumen.

Da es aber so ist, daß unsere scharfzüngigen Tagesschauredakteure, erschöpft, aber nie ermüdet von aufdeckender Recherche, ohne parteipolitische Rücksichten unsere Politiker entlarvend, in edlem Wettstreit um die Kritik, nur übertroffen von der Kühnheit ihres Chefredakteurs, der unbestechlich der Wahrheit dienend allabendlich seinen Posten riskiert, nun durch die kleinliche Beamtenmentalität erschüttert werden, von dienenden Technikern, die nur im Sinne haben, sich auf Dauer einen bequemen Arbeitsplatz zu sichern, die Tatsache ignorierend, daß sie die selbstlosen Tagesschauredakteure um die Früchte ihres aufopferungsvollen Dienstes an der Aufklärung der Öffentlichkeit bringen; da nun also diese Tagesschauredakteure und der ganze tapfere NDR nicht nur darum bangen müssen, wielange die letzte Bastion linker Liberalität im Norden erhalten bleibt, sondern auch der Bayrische Rundfunk, der sich bislang nur ausschaltete, sich jetzt einschalten durfte, kann der leidende Betrachter nichts anderes tun und aufspringen, um ein donnerndes Halt in das auf- und abschwellende Geräusch all der Presseerklärungen, in denen ein jeder jetzt erklärt, wer Recht hat, hineinzurufen.

Klaus Hartung