: Private Barmherzigkeit
„Sollte der Bundestag diesen Entwurf annehmen, so bedeutet dies eine weitgehende Abkehr der BRD von den völkerrechtlichen Prinzipien des Flüchtlingsrechts bzw. von der Genfer Flüchtlingskonvention.“ Der erste Kommentar der Bonner Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO zum geplanten Ausländerrecht läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Erschreckend“, „bedenklich“ und „zynisch“ lautet auch das Fazit von Amnesty International. Was die beiden Institutionen zu solch energischen Stellungnahmen veranlaßt, sind bisher kaum berücksichtigte Passagen des geplanten Ausländergesetzes, die sich auf Asylsuchende und politische Flüchtlinge beziehen.
Vor allem geht es um sogenannte De facto-Flüchtlinge diejenigen, die nach den immer engeren Rastern des Asylrechts keine Chance auf Anerkennung als politisch Verfolgte haben, aber dennoch aus humanitären oder politischen Gründen bisher nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Zu diesen de facto-Flüchtlingen gehören z.B. die Tamilen, Iraner und Libanesen, deren Asylanträge dank abenteuerlicher Richtersprüche zwar abgelehnt wurden, die aber dennoch nicht in die Bürgerkriegssituation ihrer Heimatländer zurück geschickt werden. Bisher hatte diese mittlerweile größte Flüchtlingsgruppe über den Paragraphen 14 des Ausländergesetzes, der sich auf die Flüchtlingskonvention stützt, einen minimalen Schutz: sie erhielt eine „vorübergehende Duldung“. Dieser Paragraph 14 ist vielen konservativen Politikern schon lange ein Dorn im Auge. In dem neuen Ausländerrecht soll er ersatzlos gestrichen werden, und auch aus den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention will sich die Bundesrepublik rausmogeln: „Völkerrechtliche Regelungen sollen grundsätzlich nicht mehr ... unmittelbare Anwendung finden“, heißt es in der Begründung zu dem Gesetzentwurf, und einige Passagen weiter: Ausländern kann „der Aufenthalt grundsätzlich auch dann versagt werden, wenn ihre Menschenrechte außerhalb des Bundesgebietes nicht in vollem Umfang gewährleistet sind.“
Künftig soll das dem Bundesinnenministerium unterstehende Bundesamt in Zirndorf als einzige Instanz darüber entscheiden, ob in dem Heimatland eines Flüchtlings politische Hinderungsgründe für eine Abschiebung vorliegen oder nicht. Wo zur Zeit noch unterschiedliche Ausländerbehörden und Länderinnenministerien mit dem Paragraphen 14 weiten Ermessensspielraum für eine Duldung haben, soll nun zentral ausgerechnet die Behörde über einen Flüchtling entscheiden, die ihm in der Regel schon im Asylverfahren eine politische Verfolgung abgesprochen hatte. Einen Rechtsanspruch auf eine Duldung aus politischen, humanitären oder völkerrechtlichen Gründen und eine Klagemöglichkeit gegen einen ablehnenden Bescheid hat ein Flüchtling nach dem Entwurf dann nicht mehr.
Er „kann“, so heißt es, vom Bundesamt eine sechsmonatige Duldung bekommen und schließlich „darf“ ihm nach mehr als zweijähriger Duldung eine „Aufenthaltsgestattung“ gewährt werden.
Ob der weitere Aufenthalt eines Flüchtlings aus politischen oder humanitären Gründen legalisiert werden „darf“, will das Gesetz jedoch auch von einer weiteren Vorausssetzung abhängig machen: davon, daß ein Dritter für mindestens zehn Jahre die Lebensunterhaltskosten des Flüchtlings übernimmt. Ein absolutes Novum in der deutschen Rechtsgeschichte. Diese Privatisierung des Flüchtlingsproblems liest sich nicht zufällig wie eine staatliche Retourkutsche auf das Engagement von Flüchtlingsgruppen, kirchlichen Initiativen und Wohlfahrtsverbänden: „Einerseits kann dem Anliegen privater Gruppen und Einzelner, Humanität auf Kosten der Allgemeinheit zu üben, Ausländerrechtlich nur in sehr begrenztem Umfang entsprochen werden, weil das Ausländerrecht dem hiesigen Gemeinwohl verpflichtet ist“, heißt es in dem Begründungstext, „andererseits aber soll das Ausländerrecht echter privater Barmherzigkeit auch keine unnötigen Schranken setzen.“
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