Fischmeditation

■ Theorie und Praxis des Angelns in Berlin

Eine kleine gelbe Kugel schwimmt an der Wasseroberfläche. Rund zehn Minuten tanzt sie leicht auf den seichten Wellen der Strömung. Dann, plötzlich, schwupp, taucht sie unter: Der Angler springt von seinem Klappstuhl auf, reißt seine Rute hoch, und aus dem Wasser schwappen zunächst die gelbe Pose und dann ein kleiner Barsch. Mit einem Ruck durch die Luft geschleudert, wird dieser vom Angler mit der Hand aufgefangen, von der Spitze des Hakens befreit und zurück ins kühle Naß geworfen. „Ick esse keene Fische“, lacht der Angler, zieht in aller Ruhe einen neuen Köder auf den Haken, entknotet die etwas verhedderte Angelsehne von der Pose, holt grazil Schwung und wirft die Rute wieder aus.

Geduldige Angler gibt es viele in Berlin. Auch am Nordhafen im Wedding. Tag für Tag stehen sie sich die Beine in den Bauch, einfach so zum Zeitvertreib, denn die meisten von ihnen sind arbeitslos. Gerhard G. wartet oft Stunden auf seinen nächsten Fang. Angeln ist sein Hobby, und langweilig findet er das überhaupt nicht. „Is ja besser, als immer inne Kneipe zu gehn“, meint er dazu nur. „Mir macht es einfach Spaß, so am Wasser zu sitzen“, sagt Wilhelm K., ebenfalls kein großer Fischesser, aber begeisterter Angler. Da er in der Nähe des Nordhafens wohnt, kennt er dort natürlich „alle guten Plätze“. Bei richtigem Angelwetter, es darf nicht zu heiß sein, zieht Wilhelm K. schon so seine zehn bis 20 Fische an Land. Plötzen, Barsche, Bleien oder Güstern, meist so zwischen 20 und 60 Zentimetern. Er angelt seit Jahren, zwei- bis dreimal die Woche, „je nach Laune“, und hat auch schon eine stattliche Ausrüstung. Diverse Teleskopruten aus Fiberglas, Schwimmer aus Korken, Senker aus Blei, Blinker, Spinner und sogar einige phosphorleuchtende Posen für nachts. Den Wert seiner Ausrüstung schätzt er auf 700 Mark. „Det hab ick mir so nach und nach gekooft.“

Kein Geld für diese ganzen Geräte hat dagegen Kurt H.: „Vor sieben Jahren hab ick ma'ne Dummheit jemacht, da bin ick arbeitslos jeworden. Nu jeh ick eben angeln, da kommt man wenigstens nich auf dumme Jedanken“, sagt er und hält seine kleine Rute aus Bambus übers Wasser. Er hat sie in diesem Jahr von einem Freund geschenkt bekommen. Mühsam ersparen mußte er sich dagegen das Geld für den Fischereischein. „Der jilt für fünf Jahre und kostet 40 Mark, und ohne den darf man janischt. Und denn brauchste noch 'n Angelschein für zwölf Mark, der is denn für die Gewässer, wo de jrade fischst.“

„Mir is die Brühe ja zu dreckig, also, ick meene, essen tu ick die Viecher nich, aber det Angeln, immer so anne frische Luft, det bringt Laune“, meint Walter S. „Ick kenn‘ ooch olle Kumpels, die die Tierchen essen, jestorben sind die ooch noch nich, aber es muß ja jeder selber wissen, was er so in sich rinstopft.“

Und sein Kumpel Herbert, schon leicht einen im Kahn, meint dazu: „Angeln beruhigt ungemein. Wenn ick det nich hätte, müßte ich mir den janzen Tag über die janze Jemeinheit der Welt uffregen, und det wär‘ doch nich jut für mich, oder?“ Da regt er sich lieber über die Fische auf, die ihm die Maden vom Haken fressen ohne draufzubeißen.

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