VERALTETER LÜSTLING

■ „Kavalier und Anti-Held“: Marcello Mastroianni im Cinema und in der Filmbühne am Steinplatz

Marcello Mastroianni ist der Name einer Welt, die im dekadent-großbürgerlichen Rom der späten fünfziger Jahre beginnt, hinabsteigt ins ausschweifend-verkommene Lüstlingsmilieu der Sechziger und Siebziger und im demokratisierten Griechenland der Achtziger endet, wo altgewordene Widerstandskämpfer den Sinn ihres Lebens vermissen. Diese Welt ist der Kino(t)raum einer Generation, die die sexuelle Befreiung der sechziger Jahre (mit -)erlebte, ohne selbst daran teilzuhaben, und sich im Kino über die eigenen Wunschvorstellungen belustigen konnte.

Etwas genauer: Mastroiannis Karriere begann in den Fünfzigern in italienischen Gauner- und Diebeskomödien (Diebe habens schwer oder Schade, daß Du eine Kanaille bist), bis ihm mit Fellinis La Dolce Vita der Durchbruch ins süße Leben des internationalen Showgeschäfts gelang. Die Rolle als gebrochener, zweifelnder Macho, der mittels schnell wechselnder erotischer Frauen-Objekte seine Lust zu stillen sucht und der emotionalen Leere seines beruflichen Lebens entfliehen will, sollte er in der Folge noch oft verkörpern.

La Dolce Vita (1959) leitete die Sexwelle im internationalen Film ein und zeigt die durchaus amüsante Leidensgeschichte eines dummen Mannes, der alles haben kann, ohne es wirklich zu verstehen. Antonionis La Notte (1960) zeichnet ein ähnliches Bild der römischen Schickeria. Es sind die gleichen nächtlichen Parties, das gleiche großbürgerlich-dekadente Milieu und das gleiche „Übel“, das in beiden Filmen dargelegt wird: Die Menschen sind fremd in dieser Welt, sie nehmen an der Gesellschaft und ihren Ritualen teil, ohne daß sie ihnen etwas bedeuten. Die Liebe zu der einen Frau ist gescheitert - oder am Ende angekommen -, und wie es weitergehen soll, wissen sie noch nicht.

Der scheinbare Ausbruch aus allen gesellschaftlichen Konventionen, der sichtliche Verfall von Sitte und Moral leitet die nächste Etappe Marcello Mastroiannis ein. Als schmieriger Lüstling und verkommener Lebemann ist er aus den folgenden Fellini-Filmen in Erinnerung, aber auch in Polanskis Was? (1972) spielt er einen müden Playboy, der in einer großen Villa seinen sexuellen „Perversionen“ freien Lauf läßt. „Coco mit der weichen Birne“, wie er genannt wird, liegt mit den anderen Mitbewohnern in dauerndem Streit, und das frühere Fotomodell Sydne Rome durchlebt hier die sexuellen Moden der sechziger Jahre im Schnelldurchlauf. Am Ende flieht sie (nackt) in einem Lastwagen voller Schweine aus dieser Villa: lieber unter richtigen Schweinen als unter Menschen, die schweinisch sind, mag sich Polanski dabei gedacht haben.

In Marco Ferreris Das große Fressen (1973) beleidigte er alle sensiblen Menschenfreunde aufs böseste: Nicht die Scheiße stinkt, sondern das Geld, mit dem die abgewirtschaftete Konsumgesellschaft Selbstmord begeht und sich totfrißt. Mastroianni hat Potenzprobleme, kann Frauen nur noch von hinten nehmen und erfriert schließlich in seinem Bugatti. Der Schriftsteller Jean Cau ereiferte sich über Das große Fressen: „Verzeiht, daß ich weinen muß, weinen über diesen Unrat, der mir mitten ins Gesicht geschleudert wird, diese Schande, es ist zum Heulen.“ Andere waren da nicht so zimperlich und erkannten die heilsam -unterhaltende Provokation dieser „wilden, vulgären, geilen Tour de France des Furzens, Vögelns, Scheißens, Kotzens, Masturbierens, Fressens, Fellationierens und Cunnilingierens“ (Amos Vogel).

In Fellinis Stadt der Frauen (1979) sieht sich Mastroianni, dieser Mann aus der Welt von gestern, mit der Welt der „Frau von heute“ konfrontiert: Auf einem Feministinnenkongreß beobachtet er, wie sie nach einem zärtlichen Synonym für Vagina suchen und den besten Tritt in die Hoden präsentieren, um anschließend von einer lüsternen Frau fast vergewaltigt und von bewaffneten Punkmädchen auf nächtlicher Straße verfolgt zu werden.

Marcello Mastroianni, der lange Zeit als alter ego „seines“ Regisseurs Federico Fellini galt (ein bißchen so, wie es Fernando Rey für Bunuel oder Jean-Pierre Leaud für Truffaut waren), gab seine Rolle als lüsterner Casanova in den Achtzigern ab. Nicht nur, daß die Zeiten sich geändert hatten, auch seine Zeit neigt sich nun dem Ende zu. Vielleicht gefiel ihm deshalb die Rolle in Theo Angelopoulos Der Bienenzüchter so gut, daß er, der kein Wort Griechisch spricht, seinen Text im Klang der griechischen Sprache einstudierte. Wieder entflieht jemand den gesellschaftlichen Normen, die den Spielraum des Lebens zu stark beschränkt haben: Ein 60jähriger bricht zu einer Reise auf, die seine letzte sein soll. Er will seinem Leben eine letzte Wende geben, das jetzt keinen Sinn mehr hat, wo Griechenland demokratisiert und er als ehemaliger Widerstandskämpfer überflüssig ist. Mit 45 Bienenkästen reist er dem Frühling nach, jenem Licht, das der Natur Leben bedeutet.

Mastroianni braucht das Altern nicht zu spielen, er ist einer der wenigen, die mit Würde geschafft haben, was andere Schauspieler in aller Regel nur durch lächerliche Nebenrollen schaffen - im Kino(geschäft) alt zu werden. Hier wird es auch am deutlichsten, denn seine Partnerin Nadia Mourouzi ist jung, das ist alles: Sie ist gut, weil sie zeigt, daß die Faszination der Jugend nur ihre Aufgekratztheit ist und somit schöne Oberfläche bleibt. Er ist alt, nicht so sehr der Jahre und des Aussehens wegen, sondern weil er sein Leben hinter sich hat - und immer noch haben seine Lüste Macht über ihn: Er liebt das Mädchen nicht, aber fällt doch über sie her. „Kavalier und Anti -Held“.

Torsten Alisch.

Filme mit Marcello Mastroianni bis zum 3. August im Cinema und in der Filmbühne am Steinplatz.