Waldheims Vergangenheit erstmals vor Gericht

Dem Journalisten Walter Oswalt wird „üble Nachrede“ zur Last gelegt / Bisher wurden alle Beleidigungsklagen, die Waldheim angestrengt hatte, beigelegt / Mit zahlreichen Beweisanträgen versucht der Beklagte, bisher unterdrückte Unterlagen an die Öffentlichkeit zu bringen  ■  Aus Wien Christian Seiler

In den karg ausgestatteten Räumlichkeiten des Wiener Landgerichts beginnt heute das erste öffentliche Gerichtsverfahren, in dessen Mittelpunkt die Kriegsvergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim steht. Beklagter in dem Prozeß ist der Journalist Walter Oswalt, der gemeinsam mit 1.000 Österreichern Strafanzeige gegen Kurt Waldheim wegen des Verdachts der Beteiligung am Mord im NS-Staat erstattet hat. Zu den Unterzeichnern der Strafanzeige gehören Erich Fried, Robert Jungk, Peter Weibel, Georg Chaimonicz u.a. In der Wiener Zeitschrift 'Falter‘ wurde die Anzeige nebst einem von Oswalt verfaßten Text veröffentlicht. Waldheim verklagte Oswalt wegen „übler Nachrede“ und ließ die inkriminierte 'Falter'-Ausgabe vom 2.März 1988 beschlagnahmen.

Gegenstand der Klage sind Passagen eines Begleittextes, den Owalt geschrieben hat. Eine der inkriminierten Textstellen lautet: „Die Strafanzeige stützt sich auf den Bericht der Historikerkommission und eine Reihe anderer Informationen und Dokumente, die den Verdacht belegen, daß Waldheim in mehreren Fällen für Mord im NS-Staat mitverantwortlich ist. Für viele haben die NS-Verbrechen, an denen Bundespräsident Waldheim beteiligt war, Verfolgung, Folter, Krankheit und Tod bedeutet.“

Bisher wurden bereits mehrere Gerichtsverfahren auf Betreiben der Präsidentschaftskanzlei gütlich beigelegt, bevor es zur öffentlichen Verhandlung kam. So erwägt die Zeitschrift 'Wiener‘, sich beim Bundespräsidenten zu entschuldigen. Dieser würde dann seine Beleidigungsklage zurückziehen. Waldheim hätte vor drei Wochen seine Klage gegen den Präsidenten des jüdischen Weltkongresses, Bronfman, zurückgezogen, nachdem dieser angekündigt hatte, er werde „mit Vergnügen“ an diesem Prozeß teilnehmen und auf eigene Kosten ein Flugzeug chartern, um Journalisten nach Wien einfliegen zu lassen. Außerdem hatte Waldheim den 'Spiegel‘ und den Schweizer Journalisten Hans-Dieter Born verklagt. Beide Verfahren haben noch nicht begonnen. Die Taktik von Walter Oswalt, vertreten durch Szene-Anwalt Gabriel Lansky, ist auf Offensive ausgerichtet. Oswalt bestreitet, §111 des österreichischen Strafgesetzbuches („Üble Nachrede“) verletzt zu haben und tritt den Wahrheitsbeweis an. Verteidiger Lansky übergab dem Gericht gestern umfangreiche Beweisanträge, „allein die Anträge sind so dick wie ein paar Telefonbücher“, sagte der Anwalt gegenüber der taz. Es wird gefordert, daß der offizielle Bericht der Historikerkommission veröffentlicht wird. Bisher kamen nur modifizierte Versionen in Umlauf. 26 Zeugen sollen geladen werden: Wehrmachtsangehörige, die Mitglieder der Historikerkommission und Kurt Waldheim selbst. Oswalt: „Ich bin gespannt, ob es dem Gericht gelingen wird, eine juristische Begründung zu finden, daß er zu Hause bleiben kann.“

Außerdem werden die Dokumente, die der amerikanischen Watch -List-Entscheidung zugrundeliegen, auf dem Weg der internationalen Rechtshilfe angefordert - bisher hat Waldheim die Offenlegung dieser Dokumente verhindert, weil er sich, weigerte, die Entscheidung des US-Außenministeriums anzufechten. Dem Gericht soll die UNO-Akte vorgelegt werden, die ausschlaggebend für deren Entscheidung war, Waldheim auf die „A-List“ der gesuchten Kriegsverbrecher zu setzen (Grund: 1. Mord, 2. Tötung von Geiseln).

Zuguterletzt verlangt der Beklagte, die bisher verschlossene CIA-Akte zum Fall Waldheim auf dem Weg der internationalen Rechtshilfe in das Verfahren einzubringen. Walter Oswalt hofft, „daß durch den Prozeß gegen ihn die Mitverantwortung Waldheims für NS-Verbrechen endlich vor einem Gericht untersucht wird“.