Das Ende der hessischen Schlemmer-Diät

■ Heute wird das Diätenerhöhungsgesetz des Wiesbadener Landtags klammheimlich beerdigt

Durch Proteste zur Uneigennützigkeit gezwungen, werden die Abgeordneten aller Fraktionen die Hand heben, um ein „Bereicherungsgesetz“ verschwinden zu lassen. Damit haben sich die Grünen durchgesetzt und nicht nur ein Gesetz, sondern auch den Landtagspräsidenten samt Vize zu Fall gebracht.

Wenn heute die anwesenden Abgeordneten des hessischen Landtages im Rahmen einer Sondersitzung gemeinsam das sogenannte Bereicherungsgesetz verschwinden lassen werden, das erst im Februar von CDU, FDP und SPD verabschiedet worden war, werden gerade die Grünen - trotz des „unübersehbaren Schadens für das Hessenland“ (Joschka Fischer) - klammheimliche Freude nicht unterdrücken können: Denn ihre nur zehn Fraktionsmitglieder haben es in wochenlanger Steinmetzarbeit geschafft, den monolithischen Block, den die etablierten Parteien in Sachen Diätenerhöhungsgesetz bildeten, restlos zu schleifen.

Während viele erst durch den von den Grünen und dem eher konservativen „Bund der Steuerzahler“ aufgedeckten Diätenskandal auf die „Freudenbotschaft in meinen Rentenakten“ (Ex-Sponti und Ex-Vizepräsident der Grünen, Bernd Messinger) aufmerksam wurden, haben andere die satte Erhöhung ihrer eigenen Bezüge und Pensionen mit Vorsatz großzügig kalkuliert.

Das „Duo Lengelang“ - gemeint sind die inzwischen geschaßten Herren Lang (SPD) und Lengemann (CDU) baldowerte im Landtagspräsidium im Schnellverfahren ein Diätenerhöhungsgesetz aus, das zu Jahresbeginn auf die parlamentarische Kurzreise geschickt wurde. Nach dem Willen der etablierten Parteien, deren Mitglieder ihren monetären (Ver-)Führern Lang und Lengemann blind vertrauten, durfte das neue Diätenerhöhungsgesetz noch nicht einmal im dafür zuständigen Finanzausschuß beraten werden.

Dabei hatte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Iris Blaul, dem Parlament schon im Februar vorgerechnet, daß die beabsichtigte Diäten- und Aufwandsentschädigungserhöhung den hessichen Haushalt nicht mit den von „Lengelang“ prognostizierten 3 Millionen Mark, sondern mit summa summarum mehr als 10 Millionen Mark belasten würde. Denn als „angemessen“ erachteten die Etablierten beispielsweise die Kumulierung von Pensionen. Wer etwa wie Erwin Lang, der als Vater der Bereicherungsgesetzes gilt, Abgeordneter, Minister, Vizepräsident und Präsident des hessichen Landtags gewesen ist, der kann - nach dem bis heute gültigen Gesetz - diverse Zusatzpensionen mit aufs Altenteil nehmen. Als Vizepräsident standen Lang ohnehin schon die doppelten Aufwandsentschädigen zu - ebenso dem Präsidenten und den Fraktionsvorsitzenden. Und Lang nahm auch noch die 100 Mark für jede Übernachtung in Wiesbaden mit, obgleich er in Wiesbaden wohnt.

Und damit auch der „kleine Abgeordnete“ nicht leer ausging, hatten sich die Herren Lang und Lengemann auch für ihn einiges ausgedacht und in Gesetzesform gegossen. Die Grunddiät wurde nach einem Stufenplan angehoben, so daß ein einfacher Abgeordneter nach dem „Lengelang„-Gesetz 1991 rund 9.000 Mark hatte einstreichen können. Dazu wäre noch eine Kostenpauschale in der Größenordnung von 4.700 Mark bis 5.400 Mark gekommen, ohne daß auch nur ein Abgeordneter den Nachweis über tatsächlich entstandene Kosten hätte erbringen müssen. „Cash und carry im hessichen Landtag“ nannte das selbst die sozialdemokratische Wochenzeitung 'Vorwärts‘ am 16.Juli.

Doch da war das schöne Kind Diätenerhöhung schon längst im Brunnen ersoffen. Die sozialdemokratische Basis schäumte wochenlang gegen das Bereicherungsgesetz, und die Abgeordneten bekamen in ihren Wahlkreisen Zunder. CDU- und FDP-Abgeordnete kamen mit ähnlichen „Erfahrungen“ aus ihren Wahlkreisen zurück in das Wiesbadener „Abgeordnetenparadies“. Zahlreiche VolksvertreterInnen redeten sich auch vor laufenden Kameras damit heraus, daß sie „nicht gewußt“ hätten, für was genau sie im Februar die Hand im Landtag gehoben hätten.

Der Druck auf Erwin Lang wurde immer stärker. Selbst der Kreistag Groß-Gerau, dem Lang gleichfalls angehört und dessen SPD-Fraktion bislang immer nibelungentreu hinter dem „Oldtimer aus Raunheim“ stand, wandte sich vom „Diätenvater“ ab. Und noch ehe der Abwahlantrag der Grünen gegen Lang greifen konnte, nahm der Vizepräsident seinen Hut. Seine Fraktion zollte ihm „Respekt“ und glaubte, mit diesem Bauernopfer den peinlichen Diätenskandal aus der Welt geschafft zu haben. Vor Wochenfrist votierten die Sozialdemokraten für ein „Überarbeitung des geltenden Gesetzes“, zusammen mit externen Fachleuten. Einer der von der SPD benannten Fachleute, der Richter am Hessichen Staatsgerichtshof, Helmut Lenz, hat allerdings bereits erklärt, daß er sich an diesem Verfahren nicht beteiligen werde. Nach seiner Auffassung bleibe für einen ordentlichen neuen Gesetzentwurf nach den Zeitvorgaben der Etablierten im Herbst sollte das neue Gesetz dann verabschiedet werden keine Zeit.

Langs „Chef“ im Landtagspräsidium, der christdemokratische Landtagspräsident Lengemann, folgte seinem „Famulus“ postwendend. Hatten CDU und SPD den Präsidenten am Dienstag letzter Woche mit ihren Stimmen noch im Sessel gehalten (die SPD enthielt sich beim Abwahlantrag der Grünen), gab es zwei Tage später kein Halten mehr. Lengemann, der schon als Gymnasiast Landtagspräsident hatte werden wollen, warf das Handtuch - politische Realität. Und heute werden wohl alle Fraktionen im hessischen Landtag auch noch dem inhaltlichen Antrag der Grünen, der in der letzten Woche noch von CDU, FDP und SPD abgelehnt worden war, zum Durchbruch verhelfen. Er zielt darauf ab, das Bereicherungsgesetz aufzuheben und bis zur Neuregelung auf die Diätenregelung vor Februar 1988 zurückzugreifen. Nur pro forma haben die anderen Fraktionen jetzt eilig eigene Aufhebungsentwürfe eingebracht.

Koalitionsspaltung?

Die Eliminierung des Bereicherungsgesetzes durch Parlamentsbeschluß wird den vorläufigen Schlußpunkt unter eine Affäre setzen, die das konservativ-liberal regierte Hessenland an den Rand einer Parlamentarismus- und Regierungskrise gebracht hat. Würde sich nämlich die CDU als einzige Partei heute weigern, daß Gesetz zu Fall zu bringen, wären de facto die Regierungsparteien CDU und FDP gespalten. Der Koalitionsvertrag zwischen beiden Parteien schließt nämlich wechselnde Mehrheiten bei Landtagsabstimmungen aus. Die FDP hatte bereits am Montag signalisiert, daß sie nicht bereit ist, dem Vorschlag von Ministerpräsident Wallmann auf „Einfrierung“ des Bereicherungsgesetzes - bei gleichzeitiger Anhebung der Kostenpauschale um 250 Mark auf der Basis des alten Gesetzes - zuzustimmen. FDP-Fraktionsvorsitzender Wilke sprach sich im Gegenteil dafür aus, das Abgeordnetenentschädigungsgesetz „auf den Stand vor dem Februar 1988“ rückzuführen und die zusätzlichen Kostenpauschalen für Funktionsträger und Mitglieder der Landesregierung zu streichen.

Wallmanns Vorstoß auf „Einfrierung“ war auch für die SPD das Signal für die Einbringung eines Gesetzentwurfes zur Aufhebuung des im Februar verabschiedeten Bereicherungsgesetzes. Die Sozialdemokraten packten die letzte Gelegenheit beim Schopfe, sich der hessischen Öffentlichkeit als letztendlich doch noch „moralisch intakter“ zu präsentieren als die CDU. Dabei will die SPD auch gleich das alte, vor dem Februar '88 geltende Entschädigungsgesetz mitreformieren; ein Vorhaben, das auch den Beifall der Grünen findet. So sollen - auf der Basis des alten Gesetzes - aus dem Landtag ausscheidende Funktionsträger nur noch ein Übergangsgeld in Höhe des Übergangsgeldes eines „normalen“ Abgeordneten erhalten. Sechs weitere Änderungsvorschläge sollen dafür sorgen, daß auch das alte Diätengesetz einer neuen verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Ob sich CDU und FDP auf die sozialdemokratischen Vorschläge werden einlassen können, war gestern noch offen. Doch auch wenn die Koalition die Vorschläge der FDP verabschieden sollte, ist das Bereicherungsgesetz Geschichte. Die Grünen haben - im Verein mit der „außerparlamentarischen Bewegung“ des Bundes der Steuerzahler - ein Gesetz zu Fall gebracht und zwei hohe parlamentarische Funktionsträger der Altparteien zum Rücktritt gezwungen. Who could ask for more?

Klaus-Peter Klingelschmitt