Hindernisradeln

■ Die kürzeste Strecke zwischen einem Ort und dem anderen führt für RadfahrerInnen über Stock und Stein

„Kannste nicht lesen?“, pöbeln die Originalberliner, als meine Begleiterin in die zur Einbahnstraße verbaustellte Bergmannstraße am Kreuzberger Marheinekeplatz radelt - in Gegenrichtung. Ja, wo sollen wir denn hin? An Fahrradfahrer wurde bei dieser Baustelle wie bei so vielen nicht gedacht. Entweder liefert man sich dem Gegenverkehr aus oder quetscht sich auf dem Bürgersteig, Fußgänger belästigend, mal so durch. Plötzlich Vollbremsung an der Bordsteinkante, bereit zum reifenvernichtenden Absturz auf die Straße. Mit zwei Eimern Teer eine Rampe aufzuschütten war wohl nicht mehr drin.

Radfahrer sind bei Baustellen wie auch im übrigen Straßenverkehr die Stiefkinder der Planung, sage ich zu meiner Begleiterin, mit der ich an diesem sonnigen Tag die innerstädtischen Baustellen abfahre. Dabei wäre es recht einfach, für die gut eine Million Radler ein paar Hunderter pro Baustelle springen zu lassen, um ihnen eine Durchfahrt frei von Störungen durch Fußgängern und Autos zu garantieren. Das Bild der zuständigen Planer von einem Radfahrer ist vermutlich zweidimensional und bewegt sich etwa so schnell wie ein rascher Fußgänger.

Gemütlich strampeln wir den ausnahmsweise nicht zugeparkten Radweg an der Kreuzbergstraße lang, der Tacho zeigt 18km/h, den Berg hoch immerhin noch 14km/h. Langsamer wird es dann auf der Langenscheidtbrücke, seit über einem Jahr ein ärgerliches Verkehrshindernis, was noch ein Jahr so bleiben wird: absteigen, das Rad unter die Achsel klemmen oder über die Schulter werfen und runter oder rauf schleppen.

Das war nur mühsam, lebensgefährlich wird es an der Dominicustraße: Mitten auf der Kreuzung verschmälert sich die Straße, die Radlerin ist gezwungen, sich mit den Autos entweder durch das eine oder andere Nadelöhr zu zwängen. In einen Zwiespalt stürzt uns auch die Crellestraße, ebenfalls Baustellen-Einbahnstraße, zwischen Gegenverkehr und Fußgängerbelästigung. Die nächste Baustelle lauert unter den Yorkbrücken auf uns. Den Schwung - der Tacho zeigt 35km/h beendet brüsk eine Vollbremsung vor einer Sperre - ohne Vorwarnung, versteht sich, die die Entscheidung offenlassen würde, auf die Straße auszuweichen oder langsam unter den Brücken durchzufahren. Schieben geht nicht, denn neben dem Rad paßt die Fahrerin nicht mehr zwischen das Schild „Radfahrer absteigen“ und die Mauer zum Gleisdreieck.

Weiter gen Westen stoppt uns eine Barriere quer über die Alvensleben-/Ecke Postdamer Straße: Runter vom Drahtesel und suchen nach dem Schlupfloch ist angesagt, denn die paar Mark für eine Markierung wären ja wohl rausgeschmissenes Geld gewesen. In der Winterfeldtstraße parken Autos den Durchgang an der jahrhundertealten Baustelle zu, „ohne Strafzettel natürlich, schließlich behindern sie keine anderen Autos“, entfährt meiner Begleiterin mit zunehmender Verbitterung.

Auch beim Tiergartener Teil der Potse die gleiche radfahrerfeindliche Handschrift: Aus dem Nebel taucht ein sperrendes Schild auf dem Radweg auf, in der Plötzlichkeit seines Auftauchens nur mit Nessie vergleichbar. Vermutlich gibt es einen bezirksübergreifend arbeitenden Tiefbauprüfer, der jede Baustelle erst dann freigibt, wenn die schnellste Radlerin noch langsamer als jedes Auto ist. Die Baustelle an der Potsdamer Brücke erlaubt zwar die Überfahrt; will man aber, vom Reichpietschufer kommend, links abbiegen, fahren einen entweder die rechtsabbiegenden Autos über den Haufen, oder, mit der Sicherheit des Bürgersteigs, man darf fünf Fußgängerampeln nacheinander abwarten.

Zurück in Kreuzberg, wo der alternative Sil des dortigen Baustadtrats wohl noch nicht in die Tiefen des gleichnamigen Amtes durchgegriffen hat, verliert meine Begleiterin die Geduld: An der Stresemannstraße versucht sie die Absperrung zu vernichten und tritt anschließend in Streik. Ich locke sie an der Baustelle vorbei wieder in Richtung Anhalter Bahnhof, wo die Radspur zwischen Blumenkübeln vergleichsweise unvermittelt im Sande verläuft, die Wahl lassend, von links oder rechts von Autos überfahren zu werden.

In SO36 beim frischgebuddelten Loch mitten auf dem Radweg an der Ohlhauerstraße, natürlich ohne vorwarnendes Schild, verabschieden wir uns erschöpft.

Eva Schweitzer

„Eine Rampe war nicht durchführbar“, bedauert Herr Hermann von der Senatsbauverwaltung, denn von diesem Niveau herab wäre sie 90 Meter lang geworden. Oder man hätte eine Extra -Brücke daneben angelegt, das wäre schwierig gewesen, da ist nämlich ein Privatgrundstück. Außerdem hätte das eine halbe Million gekostet - bei 11,2 Millionen insgesamt. „Na, und Radfahrer können ja auch die kleine Biege in die Monumentenstraße fahren.“

„Die Baustelle an der Yorckstraße ist echt kriminell“, sagt Schönebergs Tiefbauamtsleiter Bartz. „Aber das macht das Brückenbauamt, das ist eine Senatsbaustelle. Die wollten sogar erst die Fußgänger auf die andere Seite schicken.“ Crellestraße: Das sei nicht anders gegangen, neben der Einbahnstraße ist nicht genug Platz wegen der LKWs, und das dauert ja auch nur ein halbes Jahr. „Dominicusstraße, das ist natürlich schwierig, aber das ist teilweise eine Baustelle, für die die Leitungsverwaltungen zuständig sind.“

„Alvensleben?“, sagt Bartz, „da weiß ich gar nichts von. Das machen sicher die Leitungsverwaltungen, und für Markierungen und Falschparker-Kontrollen ist die Polizei zuständig.

„Wir sind ein bißchen gegen den Schilderwald“, meint Herr Geilich von der Polizeipressestelle. „Das ist ja auch unübersichtlich.“ Spezielle Vorschriften für Mindestbreiten von Radfahrerumleitungen gebe es nicht. Im übrigen dürften Radfahrer an der Kreuzung vorher auf die Straße ausweichen. „Für Kleinbaustellen“, sagt Herr Geilich noch, „gibt es Pauschalgenehmigungen für die Firmen, da kann das schon sein, daß die mal ein Schild vergessen.“

„Dafür ist die BVV verantwortlich“, sagt Baustadtrat Orlowsky. „Alles, was das Tiefbauamt macht, segnet die BVV ab. Und wenn das nicht geht mit den Radfahrern, dann muß sich eben eine Initiative bilden, die muß dann was dagegen unternehmen.“

Ob er Fahrrad fährt, will ich noch von Tiefbauamtsleiter Bartz wissen. „Früher, ja. Aber heute, bei dem Verkehr?“