Mit offenen Augen

■ Wenn Sylt versinkt / Föhn-Sturm in der Ostwand, 26.7., ZDF, ab 19.30 Uhr

... durchs Fernsehen gehen. Programmtip - richtig gelesen. Z.B. am 26.Juli um 19.30Uhr im ZDF: „Wenn Sylt versinkt“ (Und die Insel wird versinken - früher als Vendig! Wir Deutschen sind einfach schneller!!!) Das Resultat dieser menschheitsvernichtenden Ozonlochvergrößerung erleben wir nicht erst in „ein paar Jahren“, wie uns gestern, so ca. gegen 19.45 Uhr, ein Professor vom Deutschen Hydrographischen Institut weismachen wollte, sondern schon um 20.15 Uhr per Spielfilm auf dem gleichen Kanal: „Fönsturm in der Ostwand!“ So viel über Sylt und das Weltarschloch am Südpol. Füllen wir am besten gleich die Spreedosen für unsere Enkel und wir werden Lügen versprühn, wie die braunen Eltern. „Das haben wir nicht gewußt!“ „Das haben wir nicht gewollt!“ et cetera, et cetera. „Verredet uns doch nicht den letzten Schwung, den wir noch haben“, sagt Adrian Hoven, in dem 1950 gedrehten Heimatfilm, der gesten also übers Telematterhorn humpelte; und kurz darauf hängt er; aber nicht nur so rum, wie ein nichtarbeitfindender Teil unserer 80er Zweidrittel-Gesellschaft, auch nicht wie die wenigen Nachkriegs-Sensibelchen, die damals an der Ungnade früher Geburt knapperten und nicht (wie die meisten) arbeitswütig deutsche Vergangenheit verdrängten. Aber wo, bitte wo, hing er denn nun, unser Adrian? Vor allem aber: Warum? Der schöne Herr Hoven, Schwarm fernsehloser Kinosaurier. Erstens: rein geographish an der Ostwand von Piz Palü. Zweitens: rein moralisch - weil er nicht auf Hans Albers hörte! - gut rasiert und fern seiner festen Braut, die ja bekanntlich die See war, hatte der blonde Hannes damals, La Paloma, adee, die nächste Reeperbahn in den Alpen bestiegen; im Ernst: Eine schauspielerische Leistung, wie er da als alternder Arzt in fremder Gegend, (sprich: Gebirge!) - Quatsch, ein Berg spricht ja nicht, der Berg ruft höchstens (!) so ganz schiffermützenlos seiner Vergangenheit hinterherkraxelt. (Nein, nicht der alten Filmkarriere!) das führte jetzt ins Ufalose. Bitte fall mir doch nicht immer aus der Story und damit aus dem Drehbuch anno 1950. Eine gar nicht mal so schlechte Parabel über Nachkriegsdeutschland war dieses von Rolf Hansen spannend inszenierte Drama. Kein Alm-dudelndes Zelluloid-Seelchen, wie es doch sonst damals ins Parkett triefte, belästigt uns da. Und weit und Leinwand-breit keine Leni Riefenstahl, kein Luis Trenker! Der Krieg ist aus! Die Helden sind müde. Hier Albers! Dort: Der junge Abenteuerlüstling, der warnende Ratschläge des älteren, nicht mit seiner Verlobten (Lilo Pulver) den Berg zu besteigen, in den lawinenfördernden Nordwind schlägt. Drum hat er 'nen Hänger! Im Text? Nein, im Berg! Spätestens hier ahnt der BRD-Tele-Juppie von heute, daß Mont Blanc vielleicht doch nicht nur was zum Schreiben ist. (Andererseits: Wer nimmt schon einen Piz Palü in die Hand!?) Apropos Schreiben: Jener Drehbuchautor alter Filmhochschule gibt uns zu verstehen, daß Adrian Hoven nicht gerade die Pulver erfunden hat. Aber: Lieselotte - mitgehangen mitgefangen. Und: mitgerettet! Vorm erfrieren bewahrt, von Hans Albers persönlich, der sein letztes Hemd gibt und vom Winde verweht einen unsterblichen Abgang hat (Im Fachjargon: Große Freiheit Nummer 8). In den letzten Filmmetern bei anziehender Musik trifft ein rotkreuzelndes Rettungsflugzeug ein, die braune Spur im Schnee von gestern verwischend. Die beruhigende Moral: mochten Schweizer Bürokraten ruhig mit ihrem Schreibtisch Dachau überfliegen - ein deutscher Heimatfilmflieger aber übersieht kein Alp-träumendes Liebespaar in der Eishöhle! Von wegen Happy-End-Lösung. Fazit: Anstatt 'ner Rhapsodie in Blue lieber 'ne Symphonie in Rotkreuz! Und nun die Neuverfilmung: Dieter Hildebrandt als Luis Trenker. Titel: „Würstchen mit Genf!“

Ilja Richter