Friedenshappening im Niemandsland

Vor der Wahl eines Nachfolgers des libanesischen Staatspräsidenten Amine Gemayel veranstaltete die gewaltfreie Gewerkschafts- und Frauenbewegung ein Sit-in mit Gitarrenklängen auf der Grünen Linie zwischen Ost- und Westbeirut  ■  Aus Beirut Petra Groll

Während vor allem eine Gruppe junger Frauen aus der Westbeiruter Lehrergewerkschaft nicht nur „die Massen“ sondern auch das „Jungvolk“ vermißte und die Versammlung der „elitären Clique“ - tatsächlich sahen die meisten TeilnehmerInnen nicht nur aus wie LehrerInnen, RechtsanwältInnen oder SozialarbeiterInnen - die Veranstaltung enttäuscht als „snobistischen Zeitvertreib“ bezeichneten, kamen zumindest die Soldaten der regulären libanesischen Armee, die Staatsgebäude auf beiden Seiten der Grünen Linie in Beirut bewachen müssen, in dieser Nacht auf ihre Kosten. Blieben sie zu Beginn der Aktion, während der politischen Deklarationen, noch mißtrauisch distanziert und ließen nur selten ein unterdrücktes „Sah“ - „Richtig“ verlauten, so rückten sie doch bei Einbruch der Dunkelheit näher. Hunderte von Kerzen unterstützten den fast vollen Mond, der fahles Licht über die gespenstischen Kulissen des Ruinenfeldes im Niemandsland legte, Picknickkörbe und Gitarren wurden ausgepackt. Bald stimmten die Frauen „We Shall Overcome“ und ähnliche Lieder an, was von den uniformierten Schatten andächtig, doch kühl belauscht wurde. Erst als Lieder der vergangenen „Libanesischen Nationalbewegung“ die Romantik (die bei solchen gewaltigen und geschichtsträchtigen Kulissen durchaus angebracht scheint) ablöste, fühlten auch sie sich angesprochen. Erst klatschten sie mit, dann sangen sie, bald schwang trotz schwerer Stiefel das Tanzbein. „Debkeh“, der traditionelle Volkstanz, wird auch nach vierzehn Jahren Bürgerkrieg gepflegt und in Ost und West getanzt. Die Sonne war noch nicht untergegangen, als sich am Mittwoch abend die Repräsentanten von 37 libanesischen Organisationen vor dem ehrwürdigen Parlamentsgebäude, direkt auf der „grünen“ Demarkationslinie zwischen dem Ost- und Westteil Beiruts trafen. In diesem Kolonialbau an der derzeit einzigen geöffneten Museums-Passage in der geteilten Stadt soll sich in den kommenden Wochen das libanesische Parlament versammeln und den Nachfolger Präsident Amine Gemayels bestimmen. Die Wahl galt auch als politischer Anlaß des Sit -in der gewaltfreien Bewegung, das bis zum frühen Morgen andauerte.

In einer Erklärung betonten die OrganisatorInnen des Happenings indes, nicht allein die Wahl eines neuen Präsidenten könne die nationale Krise beenden. Dennoch forderte sie die Parlaments abgeordneten auf, die Wahl in der verfassungsmäßig vorgesehenen Zeit, bis spätestens zum 23.September, durchzuführen, damit ein konstitutionelles Vakuum vermieden wird. „Abgeordnete, wählt einen Präsidenten, der die Bedürfnisse aller Libanesen berücksicht, der für Frieden einsteht, für die Befreiung unseres Landes und die Freiheit seiner Bürger, für Einigkeit und Unabhängigkeit Libanons und für die Rechte der Menschen.“

Die libanesische Gewerkschafts- und Frauenbewegung kann sich immerhin auf 70.000 Unterschriften berufen, die bereits 1984 in allen Landesteilen gesammelt wurden. Schon damals wurden die durch den Krieg verursachten Lebensbedingungen, Zerstörung, Entvölkerung ganzer Dörfer, 100.000 Todesopfer, ungezählte Verwundete, Mangel an Wasser, Elektrizität, medizinischer Versorgung, Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten, sowie die ökonomische Katastrophe angeprangert.

Im Herbst 1987 hatte ein Friedensmarsch kriegsbehinderter Libanesen die Forderungen aufgegriffen und mit spektakulären Auftritten in allen größeren Ortschaften auf Krücken und Rollstühlen von Nord- nach Südlibanon getragen. Massendemonstrationen des libanesischen Gewerkschaftsdachverbandes CGTL, der Organisationen aus allen Landesteilen und politischen Lagern des Libanons vereint, hatten im vergangenen Winter Teilnehmer aus Ost und West- Beirut auf der Grünen Linie versammelt. „Wir haben heute bewußt auf eine Massenveranstaltung verzichtet“, erläuterte eine der AktivistInnen, „große Veranstaltungen werden zu schnell als Bedrohung aufgefaßt, und diesen Eindruck wollten wir unbedingt vermeiden.“