Bourguibas Erben ergreifen Partei

In Tunis wird heute der erste Kongreß der Regierungspartei seit der Entmachtung eröffnet / Bereits im Vorfeld hat der neue Präsident Zine El Abidine Ben Ali die Weichen auf „demokratische Erneuerung“ gestellt  ■  Aus Tunis Knut Pedersen

31 Jahre lang hat die „Sozialistische Verfassungspartei“ (Parti Socialiste Destourien) dem Landesvater Habib Bourguiba unerschütterlich die Stange gehalten. Die Grenzen zwischen Staat und Partei haben sich dabei so weitgehend verwischt, wie der Personenkult um den „ersten Kämpfer“ allmählich jedes Nachdenken über die gesellschaftliche Entwicklung ersetzte. Dann schließlich, am 7.November vergangenen Jahres, wurde mit einem Male der greise 84jährige Präsident wegen Unfähigkeit verfassungskonform abgetreten. Was kann neun Monate später aus seinen ehemaligen Steigbügelhaltern werden? Auf diese Frage wird in den kommenden drei Tagen auf dem ersten Kongreß der Regierungspartei seit November in Tunis nach Antworten gesucht.

Wie immer der außerordentliche Parteitag verlaufen mag, die demokratische Orientierung des neuen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali steht dabei nicht auf dem Spiel. Das bedeutet zweierlei: Zum einen, daß der ehemalige General und spätere Innenminister Bourguibas seinen Orientierungskurs unverändert weitersteuert. Und zum anderen, daß er sich dabei nicht dreinreden läßt. Im Klartext: Ben Ali setzt in Tunesien fortschreitende Demokratisierung durch, wenn es sein muß auch gegen die Reinheit demokratischer Prinzipien, d.h. mit undemokratischen Mitteln. Wer von solchem Widerspruch vor den Kopf gestoßen wird, sollte - so jedenfalls die Prämisse des tunesischen Präsidenten - nicht länger von möglicher Demokratie in einem Entwicklungsland träumen.

Im Vorfeld des heute beginnenden Parteitages hat Zine Ben Ali seine Regierung umgebildet und 122 der insgesamt 200 Mitglieder des Zentralkomitees „ernannt“ - kraft „außerordentlicher Befugnisse“, die ihm die Parteiführung im vergangenen Februar zuerkannte. Mithin wurden alle Personalfragen bereits geklärt, bevor die Delegierten in Tunis überhaupt zusammentreten. Neun Monate nach dem legalistischen Sturz Bourguibas sitzen heute nur noch zwei wirkliche Parteigänger alter Schule in der Regierung. Einer davon ist Premierminister Hedi Baccouche, ein feinsinniger Politiker, den Ben Ali als Statthalter der Übergangsperiode benutzt. Aber an seiner Seite tritt bereits der kommende Führer der „Ben Ali-Generation“ ins Rampenlicht: Innenminister Habib Ammar, wie Zine Ben Ali ein ehemaliger General der tunesischen Armee.

Daß es Ben Ali nicht darum geht, in der Nachfolge Bourguibas ein „bonapartistisches“ Regime zu errichten, dafür gibt es keine Garantien, aber den Beweis der bisherigen Politik. Im Laufe der vergangenen neun Monate wurde der demokratische Freiraum systematisch erweitert und bis in die Verfassung festgeschrieben. Am vergangenen Montag, anläßlich des Feiertages der Republik, wurde die von Bourguiba 1975 eingeführte Präsidentschaft auf Lebenszeit wieder abgeschafft. Bei der gleichen Gelegenheit hat Ben Ali vorzeitige Parlamentswahlen versprochen, für deren regulären Verlauf er persönlich die Bürgschaft übernimmt, was in gestandenen Demokratien und offenen Diktaturen lächerlich klingen mag. Aber in Tunesien, wo seit der Unabhängigkeit wie in Mexiko - Wahlbetrug ein Attribut der Staatspartei ist, kündigt die glaubhafte Versicherung freier Wahlen den Umsturz bestehender Machtverhältnisse an.

Was aber zwingt Ben Ali dazu, sein Versprechen einzuhalten? Nichts, wenn nicht die Überzeugung, daß - heute - seine Popularität und - morgen - seine historische Legitimität mit der glaubwürdigen Aussicht auf Demokratie steht und fällt. Und die Regierungsumbildung am Vorabend des Parteitages zeigt, daß er sich dessen bewußt ist, mußten doch mehrere „Barone“ des Bourguiba-Regimes endgültig ihren Abschied nehmen. Dafür wurde der parteipolitisch unabhängige Präsident der „Tunesischen Liga für Menschenrechte“, Sladeddine Zmerli, in die Regierung berufen. Der hochgeachtete Medizinprofessor Zmerli ist seit Dienstag Gesundheitsminister und eine „moralische Bürgschaft“ für fortschreitende Demokratisierung.

Welche Rolle wird in diesem Prozeß die Regierungspartei spielen? Um diese Frage dreht sich der heute beginnende Kampf zwischen der „Nomenklatura“ des Parteiapparates und den Anhängern Ben Alis.

Vor allem auf dem Lande können die Kräfte des Beharrens die in Gang gebrachte demokratische Öffnung zum Scheitern verurteilen. Zumal der erstarkende islamische Fundamentalismus/Integrismus und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes dem Spielraum für emanzipatorische Politik enge Grenzen setzen. Bis Sonntag abend wird man Anhaltspunkte dafür gewonnen haben, wer für die seit neun Monaten „von oben“ durchgesetzte Demokratisierung mit allen Konsequenzen Partei ergreift.