Wo die Fische springen

■ Im Umland unterwegs: Heute mit dem Kajak auf der Delme von Harpstedt nach Delmenhorst / Durch Urwald / Über Seerosen / Gülle mit dem Paddel rührend

Harpstedt liegt ein bißchen außerhalb der Welt: Breite, kopfsteingepflasterte Straßen, wogende Gemüsegärten, nicht alle Häuser mit Hochglanz-Klinkern versiegelt. Die Delme, unser Wasserwanderweg, ist nur wie ein Feldweg breit. Wer sie dennoch nicht verfehlen will, soll nach dem Cafe und Restaurant „Zur Mühle“ fragen. Denn: So stark, ein Mühlrad anzutreiben, ist die Delme allemal. Indes, das Wasserrad ist seit Jahren demontiert, und von der Mühle blieb nur das Lokal. Ein Parkplatz hinterm Haus für diejenigen, die ihr Boot per Auto nach Harpstedt gebracht haben. Durch den Kaffeegarten trägt man/frau seinen Kajak bis ans Ufer.

Urwaldfahrt

Dann geht es endlich los, und zwar mit einem Schlag: Was von der Musikbox der „Mühle“ herüberweht - es ist der letzte Hauch von Menschenwelt für lange Zeit. Denn nun beginnt der Urwald. Über uns wölben sich die Holunder und Ebereschen. Viel höher noch ragen Pappeln. Vom tiefen Bachbett aus sehen Brommbeer-Ranken wie Lianen aus. Sumpfland zeigt die Heimatkarte rechts und links vom Fluß. Die wenigen Stege, die den Bach hier überque

ren, erinnern an verlassene Goldgräber-Siedlungen: Sie sind vermodert und gebrochen, Baumäste stauen sich vor ihnen auf, manchmal ragen auch nur nutzlose Pfeiler aus der Flut. Da mag mal eine Planke draufgelegen haben, auf der den Bach zu überqueren nun niemand mehr den Wunsch hat. Wenn Rundhölzer oder nackte Eisenträger noch das Wasser überspannen, muß die PaddlerIn sich darunter hindurchwinden: Kaum mehr als ein halber Meter Raum liegt zwischen dem Wasserspiegel und den verlassenen Stegen.

Schwarze Schnaken, die schmerzhaft stechen (sich aber leicht erschlagen lassen), und grünblaue Libellen werden ständige Begleiter.

Die Delme fließt schnell. Sie kommt von der „Wildenhauser Geest“, an deren Rand auch Harpstedt liegt, und mündet in den Marsch-Niederungen bei Delmenhorst in die Ochtum. Flach ist das Wasser hier, trotz des regenreichen Sommers. Mit jedem Paddelschlag wirbeln wir den Grundschlamm auf. Das Boot läuft oft auf Grund und muß frei

gestaakt werden.

Gülle-Paddeln

Das Delme-Wasser ist dunkelbraun, mitunter grau. Stellenweise stinkts nach Gülle. Aus den Gräben, die die Felder durchziehen, fließt das Wasser heran. Es sieht ganz klar aus, wenn es in dünnem Strahl den letzten Sprung aus einem Ton- oder Plastikrohr in die braune Delme nimmt. Ob wegen der hereingeschwemmten Gülle die Blumen und Sträucher an den hohen Uferböschungen so üppig wachsen? Himbeeren reifen dort in diesen Wochen so überreich, daß frau/man Hunger und Durst damit stillen kann. Die hohen Ufer ziert eine prunkvolle, seltene Blume: der Frauenschuh. Sei's drum: Wer in unserer Bauern-Landschaft paddelt, der rührt mitunter Gülle um. Mehrmals springen Fische vor unserem Bug fast meterhoch aus dem Wasser. Ob das aus Lebensfreude war - oder Verzweiflung?

Bei dem Dorf Prinzhöfte ist der Ufer-Urwald längst vorbei. Zwischen Weiden schängelt sich der Bach. Die Stacheldrahtzäune treten manchmal so dicht an die

Ufer, daß man/frau nicht aussteigen kann. Als schlanke Pferde auf uns niederblicken, mutmaßen wir, daß die Reiterstadt Ganderkesee in die Nähe liegt. Da kann es nach Delmenhorst nicht mehr weit sein. Der Weg wird uns lang. Unser schweres Zweierboot ist nicht so leicht durch die engen Kehren zu manövrieren. Oft genug landen wir in den Brombeeren oder Brennesseln. Vor den vielen kleinen Stauwehren müssen wir kräftig Anlauf nehmen. So manches Mal bleibt das Boot auf der Kante hängen und muß mit Gewalt hinuntergeschoben werden. Nur ein dickes Kunststoff-Boot ist dieser Tour gewachsen.

Mehr als sechs Stunden sind wir unterwegs, als wir schließlich in den Stadtpark von Delmenhorst einlaufen. Hier wird der Fluß breit, er ähnelt einem Ententeich und riecht eher schlechter als auf dem flachen Land. Dort, wo der Delmenhorster Knast am Ufer steht, sollte man die Fahrt beenden. Denn ab hier versteckt der Fluß sich vor der Stadt, der er den Namen gab: Die Delme durchquert Delmenhorst großenteils unterirdisch.

mw