Hörens-Würdigkeiten

■ Weil die „Palookas“ aus England kurzfristig abgesagt hatten, avancierten die Bremer „Pillbox Boys“ zuden Headliner im „Römer“. Auch dabei: „Rubber C.E.“

Den Veranstaltern von Change Music war am Donnerstag schon ein wenig bange ums Herz. Es war Ferienzeit und die Aussichten, den Römer kostendeckend mit ausreichend Publikum zu füllen, sahen nicht sonderlich rosig aus. Dazu kam noch ein Hammer ganz besonderer Art: Der Headliner des Abends aus England, die Palookas, um ihren vielbejubelten Sänger Jowe Head, hatten kurzfristig abgesagt. Somit mußten sich die Bremer „Pillbox Boys“ mit der für sie ungewohnten Situation anfreunden, urplötzlich von der Vorgruppe der Engländer zum Hauptact zu avancieren. Dazu gesellten sich dann noch die fünf MusikerInnen von „Rubber C.E.“, die dem geplanten Rahmen eines Doppelkonzertes wieder die Berechtigung verliehen.

Einen reinen Lokalmatadoren-Abend mit Fetencharakter konnten die BesucherInnen also feiern und das Auditorium geriet eigentlich zur nächsten großen Überra

schung. Der Römer war voll wie lange nicht mehr und das wirkte sich positiv auf die Stimmung aus. Die „Pillbox Boys“ hatten seit ihrem letzten Erscheinen auf der Bühne des Kairo bei „30 Seconds Over Bremen“ unverkennbar an sich gebastelt. Souveräner und selbstsicherer traten sie so viele Kilometer vom heimatlichen Walle entfernt auf, auch wenn sie selbst hinterher ein wenig an sich zu mäkeln hatten. Gitarrensaiten sind schon ganz anderen Musikern gerissen (der Gitarrist von Palais Schaumburg bestritt vor einigen Jahren in der Unimensa einen ganzen Set auf drei Saiten; die restlichen zwei waren schon nach zwei Minuten hin) und kleine Disharmonien untereinander vermochten die allgemeine Stimmung nicht zu trüben.

Von den vier Wallern stilistisch zu erwarten, sie würden die Tore zu neuen Ufern weit aufreißen, wäre am Anspruch des Quartetts vorbeigedacht. Mit grundsolidem Wave-Rock hielten sie ihre

Fan-Gemeinde bei der Stange. Als Bassist und Gitarrist ihre Plätze tauschten, wurde es gar recht ruppig. Die Bezeichnung „Hafen-Pop“, die ihnen so gerne nachgesagt wird, kommt ihrer Musik jedenfalls nicht sehr nahe. Unüberhörbar war auch der Vorteil einer besseren Gesangsanlage im Vergleich zum Kairo, die leicht verhallten Texte waren sogar einmal zu verstehen. „Ich hab's nicht mehr weit“, hieß es an einer Stelle. Sollten die „Pillbox Boys“ damit ihren Weg über die Grenzen Bremens hinaus meinen, könnten sie durchaus recht haben.

Den zweiten Teil des Abends bestritten dann die ungleich härteren und ungeschliffeneren „Rubber C.E.“ Ihr Auftritt hatte schon etwas besonderes, denn allenthalben wurde gemunkelt, daß es sich um ihren Abschlußgig handeln sollte. Die fünfköpfige Gruppe war eigentlich als reine Frauenband angekündigt, doch Sänger und Gitarrist waren eindeutig männlich. Bei den drei Substra

letten, wie sich die Damen der Ex-Band „Substral“ gern nennen, kam besonders das ungemein kraftvolle Spiel der Drums zur Geltung. Auch wenn am Rande erzählt wurde, die Musik von „Rubber C.E.“ sei dem Fun-Rock zuzuordnen, konnten sie ihre Punkwurzeln nicht verbergen. Das weiblich-männliche Gesangstandem ergänzte sich zu einem lustvoll vokalem Kämpfchen, das seinen kleinen Höhepunkt bei „Somebody stepped over my tongue with muddy boots“ erreichte. Doch auch das als Herz- und Schmerzstück angekündigte, sich aber als mexikanisches Kampflied entpuppende Rhythmuspaket gegen Ende des Sets verfehlte seine Wirkung nicht. „Rubber C.E.“ sollte seine Auflösungsgedanken im eigenen, wie auch im Interesse des Publikums noch einmal überdenken. Denn auf dem Spaßsektor hat Bremen musikalisch durchaus etwas zu bieten.

Jürgen Francke