Bruce, nun bist du endlich da!

■ Es ist so weit: Der Prototyp des US-Amerikaners, Bruce Springsteen, spielt heute abend im Weserstadion: No drugs und „tougher than the rest“

The Boss kam an - und keiner hat geguckt. Als Donnerstag nachmittag Bruce Frederik Joseph Springsteen auf dem Bremer Flughafen aus der Maschine stieg, waren da keine jubelnden Fans, keine Absperrungen und Polizeireihen - alles sah ganz normal aus.

Nur die Kamera von Buten und Binnen zeichnete auf, wie er von der Gangway ins Leere winkte. Ähnlich unspektakulär wird er wohl auch die restliche Zeit vor dem Konzert verbringen. Vor dem letzten schlenderte er stundenlang unerkannt mit seiner Freundin Patti Scialfa durch die Frankfurter Innenstadt, bis er in einer Boutique einen Scheck unterschrieb, und auch da hätte er fast noch seinen Ausweis zeigen müssen, ehe endlich alles so ablief, wie man es sich vorstellt. Denn daß Bruce Springsteen wie ein normaler amerikanischer Tourist sigtseeing macht, und etwa die Patti vor dem Roland fotografiert, während über hundert

Leute drei Tage lang die Bühne für ihn aufbauen; daß er mit einen VW-Transporter in der Gegend herumjuckelt, bis ihm am Samstag 40.000 Menschen zujubeln, ist genauso absurd wie die völlige Abschottung von Michael Jackson, für dessen Spaziergang im Münchener Zoo gleich das ganze Gelände für mehrere Stunden abgeriegelt wurde.

Springsteen ist der Prototyp des US-Amerikaners, und da paßt es dann wieder genau, daß er die sights besucht und shopping geht. Als Kind aus zerrütteten, ärmlichen Verhältnissen, schaffte er es bis ganz nach oben. Keiner verkörpert heute wie er den american dream und dieser Mythos begründet neben seinem musikalischen Talent seinen unglaublichen Erfolg in den letzten Jahren. Springsteen ist der eine von den Millionen Kids, die in den Garagen der suburbs Rockmusik machen, der es geschafft hat. Nicht weil er besonders brilliant oder genial ist (seine Stimme und sein Gitarren

spiel sind alles andere als virtuos, und kaum einer wird seine Kompositionen als innovativ bezeichnen), aber er war „tougher than the rest“, hat härter gearbeitet und durchgehalten. Daher paßt auch sein Ehrentitel „The Boss“ so genau. Er ist ehrlich, nimmt keine Drogen und trinkt nur wenig Alkohol. Auch als Superstar hat er keine „funny ideas“, er ist patriotisch, aber läßt sich nicht vor den Karren von Ronald Reagan spannen. Statt dessen engagiert er sich für Amnestie International und gegen Apartheit. Nach dem Vietnamtrauma brauchte Amerika solch einen aufgeklärten Partioten in Jeans, der in seinen Texten auch von den Verlierern, Armen und Betrogenen erzählt, und es fertigbringt, dabei trotz seiner Millionen nicht zynisch zu klingen.

Springsteen zeigt auf der Bühne, wie hart er arbeitet, und dafür lieben ihn die Leute. Seine Konzerte sind völlig anders konzipiert, als die der andereren Stadienfüller wie Jackson, Pink Floyd oder Madonna. Es gibt keine Showeinlagen, keine schwebenden Schweine, Moonwalks oder enge Mieder. Dafür rackern sich Springsteen und die Band vier Stunden auf der Bühne ab - nach einem Konzert in Los Angeles mußte der „Boss“ von der Bühne getragen werden. Auf einem 80 Meter langen Laufsteg wird Springsteen „wahre Langstreckenläufe“ mit Gitarre absolvieren, und auf der riesigen „Star Vision“ - Leinwand soll man auch noch ganz oben in der Westkurve deutlich denn Schweiß auf seiner Stirn sehen können; außerdem versprechen die Veranstalter den „besten Sound im Rock-Business“ aus der Anlage mit zweimal 80000 Watt.

Die E-Street Band spielt mit wenigen personellen Umbesetzungen seit den frühen siebziger Jahren mit Springsteen. Er nennt sie seine große Familie und seit kurzem spielt die Sängerin Patti Scialfa nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Springsteens Privatleben eine wichtige Rolle. Nils Lofgren (Gitarre), Clarence Clemons (Saxophon), Garry Talent (Bass), Danny Federici und Roy Bittan (Keyboards), Max Weinberg (Drums) bilden den Rest der

Familie und werden auf der Bühne von einer fünfköpfigen Bläser-Sektion verstärkt.

Robin Denselow schrieb im uardian, Bruce Springsteen sei ein sehr verschwiegener Mann, der kaum Interviews gewähre, und wenig von seinem privaten Leben preis gäbe, wenn er nicht gerade auf der Bühne in einem Fussballstadion stehe, das gefüllt ist mit Zehntausenden von Zuschauern. Das Konzert sei „eine Mischung von Rockeuphorie und Ausdauer, mit einer sehr mutigen und persönlichen Form von emotionalem Striptease“. Man darf also sehr gespannt sein auf die musikalische „Entjungferung“ des Weserstadions durch diesen american man.

Willy Taub