Mustergenosse August Hagedorn

■ Eine volle Sackkarre in der Bürgerschaft zu Ehren ihres ersten Präsdidenten

Beim Namen „Hagedorn“ fällt mir immer ein gewisser Hartwig Hagedorn ein, ein höherer Handelsschullehrer zu Hildesheim, der in den 60er Jahren seinen Kleinwagen verkaufen mußte und sich durch Abendkurse in der Volkshochschule „Buchführung für Anfänger“ etwas dazuverdiente, nachdem er in zweiter Ehe im Ortsteil Marienburger Höhe ein Einfamilien-Fertighaus gebaut hatte.

Um diesen Hagedorn geht es nicht, und wahrscheinlich hätte für Hartwig Hagedorn gestern auch kein Mensch eine Sackkarre in die Bremische Bürgerschaft gezerrt und direkt im Zimmer ihres Präsidenten abgestellt. Nein, auf der Sackkarre lagen etwa 78 Exemplare eines gewissen August Hagedorn zum Einzelpreis von 29.80.

Im Gegensatz zu besagtem Hildesheimer Hagedorn, der mutmaßlich noch heute nichts anderes tut, als Buchführung zu unterrichten und Raten zu zahlen, hat sein Bremer Namensvetter es nämlich zu einer Biographie gebracht, die dem Bremer Hauschild-Verlag immerhin 160 Druckseiten wert ist. Kurz, August Hagedorn war ein „großer“ Bremer und verdient alle lobenden Attribute, die man großen Männern 15 bis 30 Jahre nach ihrem Tod und rechtzeitg zum 100. Geburtstag gerne anhängt. Die meisten fangen konsequenterweise mit „groß-“ an und hören mit „-herzig“, „ -mütig“, oder „-zügig“ auf. Außerdem ist August Hagedorn das „große Vorbild“ unseres derzeitigen Parlamentspräsidenten, Dieter Klink.

August Hagedorn war 20 Jahre, genau von 1946 bis 1966, Präsident der Bremer Bürgerschaft. Und August Hagedorn war ein Sozialdemokrat von der Sorte, an die sich Sozialdemokraten von heute besonders gern erinnern. Einer, der aus einfachsten Verhältnissen stammt, schon in frühester Kindheit für 11 Pfennig die Stunde reparierte Schuhe austrägt und 12jährig sein Schlüsselerlebnis hat, das seinen ausgeprägten „Gerechtigkeitssinn“ so verletzt, daß er schleunigst in die SPD eintritt. August Hagedorn - ein einfacher Volksschüler, der es bis zum höchsten Bremer Staatsamt bringt.

Was wir sonst noch über den Rekord-Bürgerschaftspräsidenten Hagedorn von seinem Biographen und pensionierten Radio -Bremen-Reporter Wolfgang Schumacher erfahren: Jüngstes von sechs Kindern einer Postillions-Familie, Bürogehilfe bei der AOK, 1910 Eintritt in die SPD, 1917 Wechsel zur USPD, aber weiß Gott nicht als „Linksradikaler“, sondern ein Mann, der die Bremer Räterepublik „vom Fenster seines AOK-Büros“ mit „Spannung, aber auch mit Sorge verfolgt“ und sich nicht „an emotionsgeladenen Demonstrationen“ beteiligt. 1920 gehört Hagedorn der ersten Bremischen Bürgerschaft an. Weil er bei einer Krankenkasse gearbeitet hat, gilt er als „Finanzexperte“, ein Ruf, den er bis zu seinem Tode nicht wieder los wird. 1933 wird Hagedorn von der Gestapo verhaftet, schlägt sich nach 3 1/2 Wochen U-Haft irgendwie durch die Jahre 33 bis 45 und wird 1946 „erster Mann im Bremer Staate“. Das bleibt er fast bis zu seinem Tode am heiligen Abend 1969 und darüberhinaus ein Beispiel, „das für uns alle Maßstäbe setzt“ (Dr.Dieter Klink).

K.S.