Die Queen, ein Antikörper gegen Langeweile

Es geschah in Plymouth: Anläßlich der Feierlichkeit zum englischen Sieg über die Armada stand der taz-Reporter Aug‘ in Aug‘ mit einem Mythos im hellblauen Mantel / Elizabeth II. ist nicht nur ein Schiffsname, sondern auch Markenzeichen eines Kitts, der die Thatcher-Gesellschaft erfolgreich zusammenhält  ■  Aus Plymouth Rolf Paasch

So schwer wie die grau-bläulichen Regenwolken hängt auch die Erwartung über der Stadt. „Wann kommt sie denn“, fragt ein älterer Herr ganz aufgeregt am Fischstand, unten im alten Hafen. „Zwölf Uhr zehn“, gibt ihm die Bedienung mit der gleichen Routine zurück, mit der sie sonst ihre Krabbenbrötchen belegt. „Sie sind nicht der erste, der das heute fragt.“

Hinter den Absperrgittern der South Side Street geht es unterdessen zu wie in einem mittelalterlichen Mysterienspiel. Die Verkäuferinnen der Kitsch- und Souvenirläden haben sich für den Festtag in jene Kostüme geworfen, in denen die Briten so gerne in die Vergangenheit zurückstreben. Nachdem die Queen gestern im benachbarten Torbay die „Glorious Revolution“ von 1688 abgefeiert hat, kommt sie heute in die südenglische Hafenstadt Plymouth, von wo aus Sir Francis Drake anno 1588 zum Sieg über die spanische Armada aufgebrochen war.

„Jetzt haltet's ihr sauber, wos sonst immer nur verdreckt ist und stinkt“, rufen die Ladies auf den Klappstühlen vor dem Altersheim dem Straßenkehrer nach, der noch nie so gehetzt wirkte wie heute. Am Ende der Straße verkauft Brian seine Plastikfähnchen mit dem „Union Jack“. „Ich lebe von den 'Royals'“, sagt er ganz unsentimental.

Draußen auf der „Hoe“, der Plymouth vorgelagerten Prachtpromenade, warten Tausende von Untertanen bereits seit zwei Stunden im von der See hereinpeitschenden Nieselregen, um der Abnahme der Militärparade durch die Queen beizuwohnen. Im Hintergrund veschwimmen die Umrisse der in der Bucht verankerten königlichen Yacht „Britannia“ langsam im Nebel. In Plymouth liebt man nicht nur die „Royals“, sondern auch das Meer und die Marine. Von hier aus ließ Elizabeth I. gegen die Armada und Margaret, die Gegenwärtige, in den Falkland-Krieg segeln. Der Seekrieg und seine Vorbereitungen brachten Plymouth immer Ruhm und Arbeit.

Elf Uhr vierzig: Auch die dicken Parade-Uniformen der Militärkapelle sind mittlerweile vom Dauerregen durchweicht, die Ehrengäste werden zappelig, und die Bajonette der Marine -Garde, mit denen vor sechs Jahren noch Argentinier aufgeschlitzt wurden, drohen Rost anzusetzen: Die Queen hat Verspätung - und das Volk leidet ergeben im Regen. Colonel Henry Woods, der mir und den umstehenden Schaulustigen in der Zwischenzeit die ruhmreichen Einzelheiten aus seiner längst vergangenen Soldatenkarriere näherbringt, wird es vom langen Stehen plötzlich ganz schwindlig. Aber genau als die Helfer mit der Bahre eintreffen, geht ein Raunen durch die Menge: „Sie kommt.“

Zuerst die Karosse des Bürgermeisters, dann der Polizeichef und endlich, da ist sie, im Bauch des schwarzen Rolls wird sie bis vor das Podium gerollt. Hälse recken sich, das Kleinvolk schwenkt die Plastikwimpel, und ganz gewöhnliche ältere Ladies verwandeln sich plötzlich in Kleinkinder, die von hinten drängen und am liebsten auf die Schulter gehoben würden. Als die Nationalhymne erklingt, steht auch Henry Woods längst wieder stramm.

„Dies wird der Höhepunkt der diesjährigen Armada Feierlichkeiten“, hatte mich die Dame im Touristenbüro vorher gewarnt. Auf der „Hoe“ habe Sir Francis Drake damals Bowls (eine Art Insel-Boccia) gespielt, als sich die schreckliche Armada zum ersten Mal am Horizont zeigte. Bei soviel Geschichtsklitterung versteht es sich beinahe von selbst, daß der Flottenführer sein Spiel noch cool zu Ende brachte, ehe er an Bord der englischen Kriegsflotte stieg. Doch ausgerechnet zur 400-Jahrfeier haben ihm nun zwei Militärhistoriker gehörig an den Kahn geschissen. Nicht britische Seefahrerkunst, sondern schlecht gebohrte spanische Kanonenrohre und unmögliches Wetter - das wohl einzig Echte an der Erinnerungsfeier - hätten damals den Sieg der spanischen Flotte Philips II. verhindert. Das ketzerische Buch der beiden Historiker hatte im Frühjahr sogar die 'Times‘ zu einem Leitartikel veranlaßt, der darauf hinwies, daß solche Jahrestage nicht zur Aufzählung von Fakten, sondern zur Belebung des Mythos gefeiert würden.

Dem Volk von Plymouth war dieser akademische Unterschied in diesem Augenblick allerdings völlig gleichgültig. Sie waren gekommen, um den „Mythos an sich“ zu sehen, die wandelnde Inkarnation der britischen Verfassung, derzeit Elizabeth II. genannt, in der sich Fakt und Fiktion widerspruchslos aufzulösen scheinen. „Was hat sie denn an“, kreischt es mir verzweifelt in den Rücken. „Einen hellblauen Mantel“, versuche ich meine Hinterfrau zu beruhigen, „etwas zu knallig, wenn sie mich fragen.“ Aber das muß so sein.

In seinem Buch „100 Jahre Königlicher Stil“ schreibt der Hofkenner Colin McDowell, die Königin dürfe keine gedämpften Farben tragen, weil ihre Figur sonst „in der Menge untergehe“. Und das wiederum darf nicht sein. Denn die Queen gehört in der englischen Gesellschaft weder zu „them“ (denen da oben) noch zu „us“ (uns hier unten). Sie hat zwei für Großbritannien äußerst nützliche Eigenschaften: sie ist wasserabstoßend und besitzt einen klassenübergreifenden Appeal. Ihr wird aus den Slums des sozialen Wohnungsbaus ebenso zugejubelt wie aus den Einfamilienhäusern der Vorstädte. Wie sie da an den von der Schirmmütze tropfenden Gardesoldaten verbeigleitet, jeder Schritt und jede Geste sorgfältig vorbereitet und bedächtig vollzogen, ist sie ganz institutionalisierte Persönlichkeit, gleichzeitig abstrakt und konkret; Nationalismus zum (beinahe) Anfassen.

„How lovely she looks“, klingt es in den Ohren des ausländischen Republikaners, der sich mit seinen Einwänden gegens Königliche plötzlich ganz gemein vorkommt. Selbst der provozierende Zwischenruf des ebenfalls zur Parade erschienenen Stadtpunks „Laßt mich doch mal durch, ich will auch das Fleisch der Königin sehen“ wendet sich im allgemeinen Taumel der Entzückung gegen ihn, so daß er bald stumm und erfolglos davonzieht. Denn hier geht es um mehr als um eine guterhaltene Mittsechzigerin im blauen Mantel. Hier geht es um nationale Identität, um profane Sozialtherapie, wie sie sonst nur von der hl. Maria in Lourdes verabreicht werden kann.

Wie kaum eine(r) ihrer Vorgänger(innen) gilt Elizabeth II. als Symbol englischer Anständigkeit. Sie ist das akzeptable Gesicht einer Klassengesellschaft, zugleich Anti-Hooligan und Antikörper gegen die Langeweile im Lande. Sie ist Teil, Ausdruck und Promoter eines so synthetischen wie gewaltfreien Geschichtsverständnisses, das weder Eroberung noch Revolution kennt. Nicht zufällig wird heute der erfolgreichen Abwehr einer ausländischen Invasion gedacht, wurde gestern eine „Revolution“ als Glorreiche gefeiert, weil sie angeblich gewaltlos war.

Daß sich die englische Gewalt in den Jahren nach 1689 in Irland, später in anderen Kolonien des Empire austobte - und heute in den Fußballstadien manifestiert -, dies wahrzunehmen, waren in Plymouth alle viel zu glücklich. „Hast Du gesehen, wie nett sie aussah. Lovely, einfach lovely.“ Selbst Colonel Henry Woods läßt sich am Ende von den Krankenhelfern bereitwillig auf die Bahre legen und zur Routineuntersuchung abtransportieren. „Was für ein Tag“, murmelt er erschöpft, aber glücklich.